: Naiv und blauäugig
■ betr.: „Wo bleibt die RAF-Intiti ative“, taz vom 3.9.93
[...] Wie naiv und blauäugig muß man sein, wenn man eine Gruppe als ‘versprengten Haufen' bezeichnet, die mit einer solchen Präzision und Kaltblütigkeit Anschläge und Attentate verübt, die Herr Meier in seinem Kommentar selbst erwähnt (u.a. Herrhausen, Weiterstadt).
Schon allein die Tatsache, daß der Staat einen seiner Ermittlungsorgane (BKA) von einer aus ca. 200 Mann bestehenden Fahndungsgruppe innerhalb von 20 Jahren zu einem Polizeiapparat [...] mit über 2500 der besten Kriminalbeamte ausstattet, läßt vermuten, daß dies sicherlich nicht wegen eines versprengten Haufens geschah.
Und wer nach dem Anschlag von Weiterstadt der Meinung ist, bei diesem Haufen sei „Tatkraft, Mut und Elan“ erschöpft, der sollte aufhören in Rhetorik zu schwelgen und die Tatsachen als das sehen, was sie sind, - ein Beweis für die Motivation, die selbst heute noch innerhalb der RAF herrscht.
Mal davon abgesehen, daß die RAF-Initiative, die der Autor fordert, ja schon längst von der RAF gestartet war (oder wie sonst ist der Gewaltverzicht vom April 92 als Reaktion auf die Kinkel-Initiative zu verstehen?), stellt sich doch die Frage, wie eine solche Initiative mit dem Ziel einer Selbstauflösung denn funktionieren sollte?!?
Doch nicht etwa so, wie Herr Meier sich denkt, frei nach dem Motto, alle Illegalen tauchen wieder auf aus der Versenkung, geben auf den Polizeirevieren ihre Waffen ab, und ziehen wieder ein in unser bürgerliches Gesellschaftsleben. Und der Staat, im Zuge einer, wie Herr Meier denkt, eintretenden „Sinneskrise“, belohnt die reuigen Revoluzzer mit monatlich 2.300,- Arbeitslosenhilfe, oder was?!!! [...]
Wer die Attentate auf Herrn Braunmühl und Herrn Schleyer dazu benützt, die Vorfälle in Bad Kleinen zu rechtfertigen, oder auch nur zu bagatellisieren, der tut nicht seine Meinung kund, sondern entlarvt sich als Prolet, besonders dann, wenn zum Ende eines solchen Kommentars der Verfasser von weiteren „blutigen Exzessen“ spricht, obwohl in der Zeit zwischen der Kinkel-Initiative und Bad Kleinen, also in der Zeit der „Entspannung“, kein einziger Tropfen Blut mehr geflossen war, auch nicht in Weiterstadt. Mario Herrmann, Heidelberg
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