Nahost-Workshop: "Im Kleinen zur Aussöhnung"
In einem Seminar haben Palästinenser, Israelis und Deutsche trainiert, sich friedlich mit dem Nahostkonflikt auseinanderzusetzen - sechs sprechen darüber.
Der helle Raum im Paul-Löbe-Haus in Berlin-Dahlem ist mit Kissen und Decken ausgelegt. An den Wänden hängen Collagen und Plakate. Eine Gruppe von dreizehn jungen Leuten hat es sich auf dem Boden gemütlich gemacht und lauscht den Worten einer Teilnehmerin. Sie erzählt von ihren Gefühlen, wenn in Israel die Bombe eines Selbstmordattentäters hochgeht. Genugtuung, gesteht die Palästinenserin, sei das Erste, was sie in solch einem Moment empfinde. Die anderen nicken verständnisvoll, eine Israelin nimmt ihre Hand und pflichtet ihr bei, wie stolz sie auf sie sei. Ein paradoxes Bild. Drei Wochen vorher wäre sie der Palästinenserin sicher noch mit Verständnislosigkeit begegnet, hätte sie vielleicht sogar wutentbrannt beschimpft. Stattdessen scheint sie deren Haltung zu respektieren und zu verstehen.
Die Gruppe der 18- bis 25-Jährigen aus Israel, Palästina und Deutschland befindet sich in den letzten Zügen eines dreiwöchiges Seminars zur "Gewaltfreien Kommunikation" (GfK). Die Sozialpädagogin Sabine von Zastrow hat das Projekt zusammen mit dem Internationalen Versöhnungsbund - Deutscher Zweig e. V. ins Leben gerufen. Mit Wahrnehmungs- und Zuhörübungen sowie Gruppenarbeiten zu den Themen "Gewaltfreiheit" und "Konflikt" vermittelten zwei Kommunikationstrainer der Gruppe, sich auf friedliche Weise mit dem Nahostkonflikt auseinanderzusetzen. Die Trainer orientierten sich dabei an einem Kommunikationsmodell des amerikanischen Psychologen Marshall Rosenberg. Es basiert auf der Absicht, gängige Kommunikationsmuster von Angriff und Verteidigung aufzubrechen und in eine neue Gesprächskultur umzuwandeln. Soll heißen: zuhören statt Gegenargumente zu liefern, verstehen statt zu verurteilen. Denn nur wer die Bedürfnisse hinter den Aussagen des Gegenübers erkennt und respektiert, ist in der Lage, Konflikte konstruktiv zu lösen. Eine schwierige Aufgabe, die die Gruppe zu bewältigen hatte, betrachtet man den mehr als festgefahrenen Hintergrund. Sechs von ihnen berichten, wie sie die Herausforderung dennoch guten Mutes in Angriff nahmen und meisterten.
Tashy Endres, 25 Jahre, Berlin, Deutschland
"Als Politikstudentin interessierte es mich am meisten, wie das Modell der Gewaltfreien Kommunikation (GfK) auf politischer Ebene anwendbar sein könnte. Die Vorstellung fiel mir schwer, denn schließlich dreht sich in der Politik alles um Machthaberei und Profilierung. Das trifft natürlich in extremer Weise auf den Nahostkonflikt zu. Umso wichtiger fand ich es, mit der Teilnahme an dem Seminar zumindest im Kleinen zur Aussöhnung beizutragen. Mit Hilfe der GfK lernten wir, unsere Vorurteile beiseite zu legen und uns für die Gedanken und Gefühle der anderen zu öffnen. Die Kommunikation in der Gruppe änderte sich dadurch komplett. Am Anfang wurde noch ganz schön wild diskutiert, doch im Laufe der Zeit schafften wir es, einander zuzuhören und zu verstehen. Ich erinnere mich an eine Diskussion mit einer Israelin über Nationalismus und Nationalgefühl. Als Deutsche fiel es mir schwer, ihre nationalistische Einstellung zu ihrem Land nachzuvollziehen. Doch mit den im Seminar erlernten Kenntnissen der GfK gelang es mir, meine Zweifel auszudrücken, ohne ihre Einstellung dabei zu verurteilen."
Aviv Sela, 20 Jahre, Ramat-Gan, Israel
"Vor einem Jahr war ich für 50 Tage im Gefängnis, weil ich mich dem dreijährigen Militärdienst verweigert hatte. Meine Verweigerung hatte ich in einem Brief an den Premierminister angekündigt. Damit wollte ich zeigen, dass ich dessen Besatzungspolitik nicht unterstützte. Als Mitglied einer linken Gruppe, die sich aktiv für den Frieden einsetzt, habe ich schon eine Menge Palästinenser kennengelernt. Die meisten waren aber eher älter. Das Seminar erschien mir als gute Gelegenheit, arabische Menschen in meinem Alter kennenzulernen und mit ihnen über den Konflikt zu sprechen.
Besonders überrascht hat mich die Einstellung der deutschen Teilnehmer zu meinem Land. In Israel herrscht die Ansicht, dass die Deutschen sich nicht so intensiv mit der Geschichte des Holocaust auseinandersetzen wie wir Israelis. Der Aufenthalt in Deutschland und die Gespräche mit den deutschen Teilnehmern haben mich eines Besseren belehrt. So habe ich nicht nur gelernt, mit den anderen Israelis und Palästinensern konstruktiv über den Nahostkonflikt zu diskutieren, ich habe auch die Sichtweise der Deutschen zu ihrer Geschichte kennengelernt."
Kifah Abd El-Halim, 25 Jahre, Jerusalem, Israel
"Ich bin Israelin mit palästinensischen Wurzeln und gehöre zur arabischen Minderheit in Israel. Mit der palästinensische Sicht auf den Konflikt kann ich mich daher eher identifizieren. Ich kann ihre Situation von der anderen Seite aus betrachten und verstehen, innerhalb Israels dagegen sehe ich mich immer als Randgruppe der jüdischen Mehrheit gegenüber. Von der Teilnahme an dem GfK-Seminar erhoffte ich mir, ohne Vorwürfe und Anfeindungen mit den Israelis über den Konflikt sprechen zu können. Mit der Methode der gewaltfreien Kommunikation gelang es mir sogar, ihre Seite zu verstehen, auch wenn ich völlig anderer Meinung bin. Wenn man diese Methode in der Öffentlichkeit verbreiten würde, könnte eine neue Kultur der Gewaltlosigkeit entstehen. Natürlich klingt das sehr utopisch und naiv, aber ich werde dennoch versuchen, meine hier erlernten Fähigkeiten zurück mit nach Israel zu nehmen und in meiner Arbeit einzubringen. Ich arbeite für einen Abgeordneten der Knesset. Vielleicht gelingt es mir ja, meinen Teil zur Schlichtung des Konflikts beizutragen?"
Thea Link, 20 Jahre, Überlingen, Deutschland
"Für mich war das Projekt ein Weg, die palästinensische Sicht auf den Nahostkonflikt kennenzulernen. Ich hatte vorher über die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste für das American Jewish Committe (AJC) gearbeitet und mich nur mit der jüdischen Sichtweise beschäftigt. Das AJC ist eine sehr konservative Organisation, die sich eher politisch-theoretisch mit dem Konflikt auseinandersetzt. Ganz anders dagegen empfand ich die Herangehensweise des GfK-Seminars. Dort habe ich einen sehr persönlichen Zugang zu dem Thema bekommen, indem ich die verschiedenen Sichtweisen unmittelbar vom Konflikt betroffener Israelis und Palästinenser kennenlernen konnte. Ich finde es wichtig, die politische und die emotionale Ebene dieses Konflikts zusammenzubringen. Nur so kann man verstehen, dass hinter politischen Entscheidungen immer Gefühle und Bedürfnisse stecken."
Hadas Amit, 20 Jahre, Israel
"Mit 18 muss man sich in Israel entscheiden, ob man der Armee beitreten will oder nicht. Die meisten stellen sich diese Frage aber gar nicht. Für sie ist es selbstverständlich, nach der Schule den Militärdienst abzuleisten. Ich konnte mich dagegen nicht damit abfinden, zwei Jahre lang für eine Sache zu kämpfen, die ich nicht unterstütze. Ich wusste, dass ich mich damit gegen mein eigenes Land richtete. Und nicht nur das. Meine Familie war auch nicht gerade begeistert, dass ich, statt meinem Land zu dienen, lieber für 74 Tage ins Militärgefängnis ging. Sie leben in ständiger Angst vor Anschlägen und sehen die Palästinenser als Feinde. Daher war auch meine Entscheidung, an dem GfK-Seminar teilzunehmen, gegen ihre Prinzipien. Zumal ich auch Überlebende des Holocaust in meiner Familie habe, die es gar nicht gerne sahen, dass ich nach Deutschland reisen wollte.
Dennoch habe ich die Teilnahme nicht bereut. Das Projekt hat mir gezeigt, dass ich das Richtige getan hatte, indem ich gewaltlosen Widerstand geleistet hatte. Nicht gegen die Armee an sich, sondern gegen die Situation, eine Armee zu haben und Kriege gegen andere Länder zu führen."
Tamara Issa, 18 Jahre, Bethlehem, Westjordanland
"Besonders überrascht hat mich, dass es doch einige Israelis gibt, die den Militärdienst verweigern. Das hätte ich nicht gedacht. Ich halte deren Einstellung für sehr mutig und bewundernswert. Natürlich waren unter den vier Israelis auch gegenteilige Meinungen vertreten, aber auch diese lernte ich zu verstehen. Die meisten Diskussionen fanden zu Anfang tatsächlich unter den israelischen Teilnehmern statt.
Im Vorfeld hatte ich mich bereits mit der Methode der gewaltfreien Kommunikation beschäftigt, jedoch in einem anderen Zusammenhang. Ich arbeite für die Organisation Holy Land Trust, die sich für den gewaltfreien Widerstand gegen die israelische Besetzung starkmacht. Zwischen dem Modell des gewaltfreien Widerstands und der gewaltfreien Kommunikation gibt es zwar Unterschiede, der Grundgedanke geht aber, denke ich, in dieselbe Richtung. Ich bin daher überzeugt, dass mir die Fähigkeiten aus dem Seminar für die Arbeit bei Holy Land Trust nützen werden. Vielleicht ist es ja sogar möglich, so ein Projekt in der Zukunft auch in Palästina zu organisieren. In Israel ist es ja leider schwierig, so etwas umzusetzen, da die Palästinenser nicht einreisen dürfen. Dabei wäre es für beide Seiten mehr als angebracht, sich einmal solch einem Kommunikationstraining zu unterziehen."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt