■ Nahost-Konflikt: Barak will die Gunst der Stunde ausnutzen: Ein Blitzfrieden
Als Generalstabschef hat Ehud Barak den Blitzkrieg geplant. Jetzt plant er einen Blitzfrieden.
Bisher haben alle israelischen Premiers den Frieden als üble Medizin behandelt, deren Einnahme man solange wie möglich verschiebt. Sogar Rabin hat keinen der im Oslo-Vertrag abgemachten Termine eingehalten und behauptet: „Kein Termin ist heilig.“ (Worauf ich ihm einmal sagte: „Ich hoffe, Sie können meinen Bankdirektor davon überzeugen.“)
Baraks Einstellung ist neu. Er will keine Manöver und Tricks, er will zur Sache kommen, und zwar so schnell wie möglich. Er glaubt, daß die Zeit, die vorbeigeht, nicht gewonnen, sondern verloren ist.
Dazu hat er gute politische Gründe. Er hat in einer Direktwahl mit einer großen Mehrheit gesiegt. Seine Machtposition ist heute stark. In den Parlamentswahlen sind alle siedlerfreundlichen Parteien entschieden geschlagen worden. Israel ist kriegsmüde, und auch die Palästinenser und Syrer wollen endlich einen Frieden, solange Clinton, Arafat und Assad noch an der Macht sind. Es ist, wie die Amerikaner sagen, „a window of opportunity“, eine Sternstunde der Möglichkeiten.
Vor sechs Jahren habe ich Rabin gemahnt, sich einen Ausspruch von David Lloyd-George zu Herzen zu nehmen: „Man kann einen Abgrund nicht mit zwei Sprüngen überqueren.“ Rabin hat das nicht berücksichtigt, und das hat ihn das Leben gekostet. Barak braucht scheinbar nicht gemahnt zu werden.
Er ist mit einem Stoß von Landkarten in die USA gekommen und in die offenen Arme Clintons gefallen. Nach Netanjahu ist natürlich jeder Israeli populär, aber ein Mann wie Barak, sachlich und ohne die Allüren eines Berufspolitikers, ist Clinton besonders lieb. Was Barak sagt, ist einfach: „Laßt uns alles vergessen, was bis jetzt passiert ist, auch alle Abkommen, und schnell zu einem endgültigen Frieden kommen.“ Das noch unerfüllte Wye-Abkommen war, seiner Ansicht nach, nur nötig, weil Netanjahu ein Friedensverweigerer war. Jetzt ist es überflüssig, denn in Kürze werden ja viel größere Strecken geräumt werden, wenn alles gut geht. Davon will er Clinton und Arafat überzeugen.
Wie sieht der Plan aus? Ungefähr so: ein Staat Palästina im Westjordanland und dem Gaza-Streifen mit einer 47 Kilometer langen Brücke zwischen ihnen. Kleine und isolierte Siedlungen werden aufgegeben, aber vier Siedlungsblöcke – zirka 12 bis 15 Prozent des Westjordanlandes – an Israel angeschlossen. Für Jerusalem ein komplizierter Kompromiß, mit einer Hauptstadt Palästinas jenseits der heutigen Stadtgrenze, aber mit der palästinensischen Fahne über dem Tempelberg und vielleicht einer interreligiösen Verwaltung der Altstadt.
Syrien bekommt den gesamten Golan zurück, kommt aber nicht bis ganz an das Ufer des Tiberias-Sees. Ein israelischer Abhörposten bleibt auf der Hermon-Spitze, Sicherheits- und Wasserfragen werden geregelt, völlige Normalisierung und Frieden.
Kann Arafat das annehmen? Ist Assad dazu bereit? Wird so ein Frieden, der nicht den arabischen Erwartungen entspricht, von Dauer sein? Barak glaubt, das so ein Blitzfrieden eine neue Wirklichkeit schaffen wird. Übrigens, Blitz heißt auf hebräisch Barak. Uri Avnery
Der Autor lebt als Publizist in Tel Aviv
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen