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Nächster NSU-ProzessSchily gegen Özdemir

Der Ex-Innenminister und der Grünen-Chef streiten sich vor Gericht. Es geht um einen Satz in einem Vorwort – und um den Umgang mit NSU-Opfern.

Damals konnten sie besser miteinander: Otto Schily und Cem Özdemir im Bundestag, 1999 Foto: dpa

München taz | Saal 219, ganz hinten im zweiten Stock des Münchner Justizpalastes. Es ist ein kleiner Sitzungssaal. Von den Besuchergruppen, die an diesem Vormittag das Gericht besichtigen, verirrt sich keine hierher. Dabei sind es zwei politische Schwergewichte, die hier aufeinanderstoßen: Ein Duell zwischen Grünen-Chef Cem Özdemir und dem ehemaligen SPD-Politiker Otto Schily ist anberaumt. Ein Fernduell, ausgetragen von Özdemirs Anwalt Mehmet Daimagüler und dem Schily-Vertreter Maximilian Ott.

Es geht vor allem um eine Frage der Ehre. Konkret streiten sich die beiden um einen Satz, im Vorwort von Özdemirs Buch „Die haben gedacht, wir waren das“ steht. Es geht darin um den NSU-Anschlag in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004. Özdemir schreibt: „Ein terroristischer Hintergrund wurde bereits einen Tag nach dem Anschlag ausgeschlossen – von keinem Geringeren als dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily.“

Der exakte Wortlaut der Schily-Äußerung bei einer Pressekonferenz in Paris war: „Die Erkenntnisse, die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu.“ Nachsatz: „Aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, so dass ich eine abschließende Beurteilung dieser Ereignisse jetzt nicht vornehmen kann.“ Schily erwirkte zunächst eine einstweilige Verfügung gegen den Buchautor und reichte dann Klage ein.

Özdemir geht es im Prozess um „politische Hygiene“, wie es sein Anwalt formuliert. Vor Gericht spricht Daimagüler, selbst auch Nebenklagevertreter im NSU-Prozess, von einer „unglaublichen Wirkungsmacht“, wenn der Bundesinnenminister als oberster Zuständiger von einem kriminellen Milieu spreche. Die nachgeschobene Einschränkung sei in Wirklichkeit auch gar keine, sondern habe dem Gesagten nur eine „Scheinobjektivität“ verliehen.

Gericht regt an, sich gütlich zu einigen

Das Gericht ist bereit, Daimagülers Bewertung der Schily-Aussage teilweise zu folgen. Ohne Zweifel sei es schrecklich für die Opfer gewesen, in der öffentlichen Wahrnehmung zu Tätern gemacht worden zu sein.

Nur: Es gehe nicht um die Frage, ob Schily sich damals so hätte äußern dürfen oder nicht, sondern darum, ob die Bemerkung tatsächlich als ein Ausschluss einer terroristischen Tat zu bewerten sei. Schilys Worte sind aber nach Einschätzung des Gerichts nicht eindeutig, sondern haben nur eine Tendenz – und sind somit eben kein Ausschluss.

Mein Mandat wird notfalls bis vor den Bundesgerichtshof ziehen

Özdemir-Anwalt Daimagüler

Die Anregung des Gerichts, sich gütlich zu einigen, verhallt am Ende. Allenfalls wenn sich Schily bei den Opfern des Attentats entschuldige, könne er sich vorstellen, dass Özdemir zu einem Entgegenkommen bereit sei, sagt Daimagüler.

Ihr Urteil wird die Kammer in zwei Wochen verkünden, eine Überraschung ist kaum zu erwarten. „Der Unterlassungsanspruch besteht“, sagt die Vorsitzende Richterin. Daimagüler kündigt an: „Mein Mandant wird notfalls bis vor den Bundesgerichtshof ziehen.“

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7 Kommentare

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  • "Die Erkenntnisse, die unsere Sicherheitsbehörden bisher gewonnen haben, deuten nicht auf einen terroristischen Hintergrund, sondern auf ein kriminelles Milieu, aber die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, so dass ich eine abschließende Beurteilung dieser Ereignisse jetzt nicht vornehmen kann." Tagesschau vom 10.06.2004, 20:00 Uhr (zitiert nach Stefan Aust/Dirk Laabs: Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU, 2014)

     

    Was die Presse aus dieser Äußerung, die teilweise wie bei Aust als EIN Satz zitiert wird, teilweise als ZWEI Sätze (dann mit einem Punkt vor "Aber"), gemacht hat, ist gut dokumentiert – die zweite Hälfte fiel gelegentlich unter den Tisch - (vgl. Bundestagsdrucksache 17/14600), steht aber hier nicht zur Debatte

     

    Dass die taz Schilys Verlautbarung nicht als Einheit zitiert, sondern durchsichtigerweise mit der Konstruktion "Nachsatz:" trennt, ist ebenso überflüssig wie billig, ganz im Gegensatz zu Daimagülers geschickter Argumentation mit der "Scheinobjektivität" der von Schily nachgeschobenen Einschränkung.

  • Herr Schily ist sicherlich ein sehr guter Rechtsanwalt seiner selbst. Empathie für Opfer Null. Ansonsten hätte er sich längst Entschuldigt. Dieser Prozess beschädigt das Ansehen aller deutschen Innenminister.

    • @Eimsbüttler:

      Geht das - jedenfalls in letzter Zeit -

      Denn noch?!

      kurz - Mach Bosse.

  • Otto I. derer van Schily zu Weleda - SPD -

    Soll doch endlich den Rand halten -

    Im Einstein via taz & anderwosonst noch!

     

    Wer Geschichte&Hintergrund der

    Keupstraße in Köln-Mülheim kennt -

    Für den war seine Aussage eindeutig

    Was ihm als Öberschter Bereichsbulle BRD

    Auch klar sein mußte! & Sie war - unstreitig!

    Gleichzeitig ungeheuerlich angesichts der

    Tatsache - daß sich 2 UndercoverPolizeibeamte -

    Gleichzeitig & in unmittelbarerer Nähe -

    Des Anschlages vor Ort befunden haben.

     

    Nein. Dieser Eisenarsch & exIM will nur davon ablenken -

    Daß er & alle seine Nachgeordneten einschl.

    Länderbehörden - Schlicht&Ergreifend -

    Blindwütig-Ignorant - Versagt haben!

    Wenn nicht ohnehin - Schlimmeres naheliegt!

    • @Lowandorder:

      "Wenn nicht ohnehin - Schlimmeres naheliegt!" ... - ein Satz, der nachhallt.

       

      "Schlimmeres naheliegt!" ... - kann ja nur bedeuten: "denn sie wussten, was sie tun", und haben es nicht verhindert, sondern geschehen lassen, nicht eingegriffen, laufen lassen.

       

      Oder noch schlimmer?

       

      Noch schlimmer wäre ja ... .

      Oh, heilige Fantasie. Grenzenlose Fantasie. - Aber, wer weiss das denn schon? Letztendlich doch nur die, die dabei gewesen sind, als Hörer und als Seher.

      • 8G
        85198 (Profil gelöscht)
        @Der Allgäuer:

        Grenzenlose Naivheit könnte man ihre Haltung nennen.

        Was die Kritischen Politzisten dazu sagen: http://www.kritische-polizisten.de/rechter-terror/

         

        Dort ist unter anderem diese Pressemitteilung zu lesen:

        "Der Politikwissenschaftler, Germanist und Philosoph, Herr Alpay Yalcin, führte mit unserem Bundessprecher, Thomas Wüppesahl, ein Gespräch über die Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags zu der Serie an Kapitalverbrechen, die durch und mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) begangen worden sind.

         

        [Für die Spoiler an dieser Stelle sind die 2000 Zeichen zu knapp.]

         

        Dieses Gespräch hat eine Interview-Form und ist für die meisten Medien aus verschiedenen Gründen vollkommen unverträglich. Deshalb, um dieses Dokument zu sichern, erfolgt auf unserer Homepage am heutigen Freitag, 7. Juni 2013, die vollständige Einstellung. Viel Spaß beim Lesen.

         

        "Die drei müssen von einem Dienst geführt worden sein" http://www.kritische-polizisten.de/pressemitteilungen/dokumente/2013-05-28-Interview-Yalcin.pdf

         

        Thomas Wüppesahl, Bundessprecher"

      • @Der Allgäuer:

        AUWEIA...

        "wenn schlimmeres naheliegt..." ist doch nicht die frage ohne antwort: dass wir es ihnen zutrauen ist schon "das schlimmere"