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Nadine Conti ProvinzhauptstadtKein Platz an der Theke

Neulich stand ich mal wieder mit Freunden auf dem Küchengartenplatz herum, in dem, was eine Sommernacht hätte sein sollen. Wir betrauerten zum x-ten Mal das Ende unserer Lieblingskneipe, obwohl das „Herzblut“ schon zum Ende des vergangenen Jahres dicht gemacht hatte. Dahingemeuchelt von missgünstigen Nachbarn mit freundlicher Hilfe des Bauamtes. Das ist natürlich auch so eine Alterserscheinung. Wir haben keine große Lust mehr, dauernd den neuesten heißen Scheiß zu erkunden, wir wollen das behalten, was gut ist und funktioniert.

Deshalb führen wir andauernd diese Art von Gesprächen. Einer fängt an und dann sagt der nächste, welcher Laden jetzt schon wieder dichtgemacht oder den Besitzer gewechselt hat, warum das Inventar und das Publikum und überhaupt nicht mehr so ist, wie es mal war. Das muss die Vorstufe sein zu alten Leuten, die sich am Frühstückstisch die Todesanzeigen vorlesen. Mein Freund schwört, dass all das gesellschaftliche Bedeutung habe und einer soziologischen Untersuchung wert wäre. Der Verlust dieser „dritten Orte“, wie man das früher nannte. Zu einer tieferen Analyse sind wir nie gekommen, weil an dieser Stelle gleich jeder seine eigene Theorie ins Rennen wirft. Die Inflation ist schuld, die Coronapandemie und überhaupt diese Jugend!

Eigentlich hasse ich diese Art von Kulturpessimismus, aber diese Variante finde ich drollig: Diese Jugend säuft und raucht einfach nicht mehr genug, heißt es. Leben alle vegan und achtsam und sind nur noch mit ihren Selbstdiagnosen und Instagram-Accounts beschäftigt.

Mich erinnert das vage an eine Situation, in der ich vor gut 20 Jahren schon mal über dieses sogenannte Kneipensterben berichten musste. Eine ranzige Eckkneipe im Umland war das, Kult und was man so sagt, wenn man lange nicht mehr da gewesen ist.

Foto: privat

Nadine Conti ist Nieder­sachsen­korrespondentin in Hannover – und darüber viel glücklicher, als sie es für möglich gehalten hätte

Der Wirt behauptete, das Nichtraucherschutzgesetz hätte ihm den Todesstoß versetzt, nach zwei Bier räumte er ein, dass der Laden schon länger nicht mehr lief, nach zwei weiteren Getränken rückte er mit seiner wahren Theorie raus: Der Feminismus ist schuld. Seit Männer nämlich nicht mehr nach der Arbeit ein bis zwölf gepflegte Feierabendbiere trinken, weil ihre bösen Frauen erwarten, dass sie gleich nach Hause kommen und sich um die blöden Kinder kümmern, geht alles den Bach runter. Darauf einen Kurzen.

Rein zahlenmäßig stellen ja beide hier beschuldigten Gruppen – junge Menschen und Erwachsene in der akuten Kinderaufzuchtphase – gesellschaftliche Minderheiten dar, auf deren Bedürfnisse sonst keine Sau Rücksicht nimmt. Man fragt sich halt, was all die anderen so machen, die, die keine Kinder haben oder solche, die schon groß sind. Die sitzen wahrscheinlich, in dem noch nicht abbezahlten Haus auf dem Land und schimpfen ­Facebook voll.

Wenn es noch mehr Theken oder Tresen geben würde, die dem romantischen Ideal entsprächen, dem wir nachtrauern, würde sich das alles von selbst verbieten. Also Orte, an denen man – ohne umständliche Verabredungen – mit Leuten aller Altersklassen ins Gespräch kommen kann, mit denen man sonst vielleicht nie reden würde. Gespräche, an die man sich am nächsten Morgen kaum erinnert und die trotzdem das warme Gefühl einer echten menschlichen Begegnung hinterlassen. Die verlernen wir vielleicht gerade, postuliert die Paartherapeutin Esther Perel, weil es an ­„friction“, an Reibung fehlt.

Nach zwei weiteren Getränken rückte er mit seiner wahren Theorie raus: Der Feminismus ist schuld

In einer Welt, in der alles digitalisiert und optimiert wird, auf Effizienz und Reibungslosigkeit getrimmt wird, geht uns die Fähigkeit flöten, Dissenz und Andersartigkeit und Unsicherheit auszuhalten, aber die sind nun einmal die Voraussetzung für echte Begegnungen – nicht nur an schrabbeligen Theken, neben Menschen, die nicht dauernd instagramable aussehen. Aber das ist natürlich auch bloß so eine Theorie.

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