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Nadine Conti ProvinzhauptstadtHärter, immer härter ahnden

Das ist vermutlich einer dieser blöden linken Reflexe, aber ich kann mir nicht helfen: Immer wenn ich das Wort Strafverschärfung höre, muss ich erst einmal mit den Augen rollen. Normalerweise betrifft dies innenpolitische Debatten, aber in der letzten Woche ging es um Gesundheitspolitik. Niedersachsens Gesundheitsminister Andreas Philippi (SPD) kündigte an, sich im Bundesrat dafür einsetzen zu wollen, dass Gewalttaten gegen medizinisches Personal härter geahndet werden.

Um das gleich klar zu sagen: Natürlich finde ich das nicht gut, wenn Ärzt*innen, Arzthelfer*innen, Pflegepersonal oder Sa­ni­tä­te­r*in­nen angebrüllt, geschubst oder geschlagen werden. Ich kaufe dem Herrn Dr. med. Phi­lippi auch ab, dass ihn das sehr betroffen macht, wenn solche Vorfälle offensichtlich zunehmen. Und ich verstehe den Impuls bei ihm und den zuständigen Berufsverbänden, der sagt: Da muss man doch was machen.

Aber wäre es nicht vielleicht gut, was zu machen, was auch hilft? Glaubt wirklich irgendjemand, dass Taten, die so offensichtlich durch einen Kontrollverlust ausgelöst werden und vollkommen irrational sind, sich mit einer höheren Strafandrohung wirksam bekämpfen ließen? Weil Leute, bevor sie ausrasten, dann plötzlich nachdenken?

Mich macht die stumpfe Reflexhaftigkeit solcher Debatten mürbe. Wie wäre es denn erst einmal mit einer gründlichen Untersuchung? Was genau wissen wir denn eigentlich über diese Vorfälle? Wer wird hier aggressiv? Die Patienten selbst, die Angehörigen, Autofahrer, die sich durch einen Rettungswagen in ihrem Fortkommen gehindert sehen, Gaffer, die ungestört filmen möchten? Weiß man nicht. Geschlecht? Altersgruppen? Weiß man nicht. Welche Rolle spielen Alkohol, Drogen, psychische Erkrankungen, Schmerzen, Angst oder schlicht endlose Wartezeiten? Weiß man nicht. Wie steht es mit grundsätzlichen Problemen mit dem Gesundheitssystem, schlechten Vorerfahrungen, wachsendem Misstrauen, Fehlkommunikation? Weiß man nicht.

Foto: privat

Nadine Conti ist Nieder­sachsen­korrespondentin in Hannover – und darüber viel glücklicher, als sie es für möglich gehalten hätte

Könnte es nicht vielleicht sein, dass es ein paar Gründe dafür gibt, dass Menschen ausrasten? Zum Beispiel, weil sie sich ohnmächtig ausgeliefert fühlen und das blinde Vertrauen verloren haben, dass hier schon alles mit rechten Dingen zugeht, dass das Personal ganz genau weiß, was es tut und alles im Griff und im Blick hat? Haben sie schon einmal ein paar Stunden neben einem kranken und hilflosen Angehörigen im Flur einer Notaufnahme verbracht und sich gefragt, ob man sie vergessen hat?

Das soll hier keine Täter-Opfer-Umkehr werden, aber … Wenn man schon mit so Schmalspuranalysen abgespeist wird, die sagen: Das ist ein gesellschaftliches Problem, Leute werden immer egozentrischer, die Zündschnur immer kürzer – darf man dann vielleicht mal fragen, ob das medizinische Personal auch Teil dieser Gesellschaft ist? Oder ist das ein Virus, das alle anderen befällt, gegen das sie selbst aber auf wundersame Weise immun sind?

Wird bei chronisch überlastetem Personal im Dauerstress nicht vielleicht auch die Zündschnur kürzer und das Einfühlungsvermögen geringer? Und der Ton dann doch ein bisschen ruppiger, als gut ist? Wäre es nicht vielleicht hilfreich, einen Plan zu haben, wie man dem professionell begegnen könnte? In welchen Situationen man besonders gewappnet sein muss, wie man die von vornherein vermeiden könnte, wie man tickende Zeitbomben erkennt und rechtzeitig entschärft? Bestimmt gibt es irgendwo da draußen kluge Menschen, die sich um so was Gedanken machen. Warum nur tauchen die in solchen Debatten nie auf?

Ist diese kürzer werdende Zündschnur eigentlich ein Virus, das immer nur alle anderen befällt?

Aber gut. Hauen wir halt lieber auf den Tisch. Da muss man doch mal Strafen verschärfen! Zurückschlagen! Überhaupt: Alles wird immer schlechter. Menschen auch. Patienten sowieso. Untergang, Abendland. Amen.

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