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Archiv-Artikel

Nackter Mann und Jugendstil

Bio-Docu-Theaterdrama im schmucken Garten des Barkenhoffs: Das Stück „Heinrich Eduardowitsch – Archäologie eines Traumes“ der Cosmos Factory feierte in Worpswede erneut Premiere – und das vier Jahre nach der Uraufführung

Auf der Bühne wird ein Brief verlesen, in dem Heinrich Vogeler in seinen frühen Worpsweder Jahren vom Barkenhoff schwärmte: vom schönen Garten und dem Teich. Und das Publikum sitzt in genau in diesem Garten und braucht die Blicke nur ein wenig nach links von der Bühne zu wenden, um dort den erwähnten Teich zu sehen!

Damals wurde dort auch Theater gespielt. Und nun, hundert Jahre später, ist wieder eine kleine Bühne in der Idylle aufgebaut, auf der Vogeler zurück zum Barkenhoff kommt. Dadurch bekommt das Stück „Heinrich Eduardowitsch – Archäologie eines Traumes“ eine ganz andere Aura. Darum ist es egal, dass die Inszenierung der Cosmos Factory vier Jahre alt ist und hier unverändert wieder aufgeführt wird.

Man kann tatsächlich von einer Worpsweder Premiere sprechen, denn der Spielort spielt hier die Hauptrolle. Durch ihn wird das Stück geerdet, auf ihm wurde es auch gezeugt. Mit einem Besuch des Barkenhoffs begann die Faszination der beiden Theatermacher Ute Falkenstein und Oliver Peuker, aus den Eindrücken, Bildern, Schriften und Briefen Vogelers das Drama eher zu montieren als zu schreiben.

Den Stil von Falkenstein und Peuker kann man dagegen Bio-Docu-Theater nennen, und diese freiwillige Selbstzurücknahme ist ein kluger Schachzug, weil Heinrich Vogeler ja selber ein sprachlich sehr gewandter Autor war.

Das merkt man an den Stellen, wo die Autoren dann doch selbst originell sein wollten. Dort kommt es prompt zu anachronistischen Stilbrüchen wie dem Slogan „Make Love and Klassenkampf“ oder die Popsongzeilen aus den 70er Jahren „Bye-Bye Love, Bye-Bye Happiness“.

Das Stück zeichnet chronologisch den Lebensweg des Künstlers und Rebellen Heinrich Vogeler nach, beginnend mit seinen großen künstlerischen Erfolgen, die in dem anfangs erwähnten schwärmerischen Briefzeilen Ausdruck finden.

„Der Andere“ vertritt die personifizierte Gegenposition im Stück. Er taucht regelmäßig auf, um eine Blick von außen auf Vogeler möglich zu machen. Oliver Peuker spielt alleine auf der Bühne sowohl Heinrich Vogeler wie auch den Antagonisten. Und er tut dies in einem anderthalbstündigen Parforceritt, auf dem er sich auch des öfteren auf offener Bühne umzieht – inklusive eines Striptease, nachdem er einige Minuten lang völlig nackt auf der Bühne steht.

Ach ja, und dann ist auch noch der rote Luftballon, mit dem Peuker als vom Kommunismus begeisterter Vogeler tanzt, was sicher nicht unbeabsichtigt an Chaplins Tanz mit der Weltkugel im „Grossen Diktator“ erinnert.

Es gibt viele ähnlich treffende und originelle Bildfindungen – auch Tonfindungen. Etwa in einer Collage von russischen Revolutionsliedern, die so perfide gesampelt wurden, dass die Musik durch Wiederholungen, Sprünge und Dissonanzen Amok zu laufen beginnt, wodurch Vogelers Verlorenheit im stalinistische System sehr eindrucksvoll vermittelt wird. Wilfried Hippen

Weitere Vorstellungen: 5. bis 28. 8., jeweils donnerstags bis samstags, 21 Uhr