Nachwuchs für Handballerinnen: Erst Mathe, dann Sport
Wie können Vereine neben Ganztagsschulen bestehen? Zum Beispiel, indem sie Sport in den Schulunterricht integrieren.
Zweifel an der Zukunft der Berliner Sportvereine ist eigentlich kaum angebracht. Denn ihre Zahl steigt stetig an, im Jahr 2017 waren es 2.443. Der Landessportbund (LSB) vermeldet Jahr für Jahr freudige Mitgliederrekorde – 2018 haben die Berliner Vereine rund 659.000 Mitglieder.
Aber da ist die Digitalisierung und da sind wachsende Fitnessketten, fehlende Ehrenamtler, fehlende Flächen und die schrumpfende Freizeit vieler Kinder, die Ganztagsschule. Einige Vereine sorgen sich.
Schon 2007/08 widmete der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) dem Thema Schule einen Teil des Sportentwicklungsberichts. Und neben allerlei Herausforderungen fanden die Macher der Studie eine verheißungsvolle Erkenntnis: Vereine, die mit Schulen und Kitas kooperierten, „weisen signifikant geringere Probleme bezüglich der Unklarheit der Gesamtperspektive des Vereins auf“. Kurz: bessere Aussichten.
Hannah Gäbler, Schülerin
Vor allem die Gewinnung und Bindung von Vereinsmitgliedern über die Schule sei eine Chance. Bereits damals kooperierten zwei Drittel der befragten Vereine auf irgendeine Weise mit Schulen. „Die Aufgabe besteht darin, die Sportvereine in den Schulunterricht zu integrieren“, forderte also LSB-Präsident Klaus Böger schon im Jahr 2013.
Das mutet im Alltag der Vereine freilich etwas weltfremd an: Welcher Ehrenamtler kann sich vormittags in den Sportunterricht stellen? Viele Klubs haben schon Schwierigkeiten, fürs Nachmittagstraining genug Trainer zu finden.
Schule und Karriere
Hannah Gäbler und Nele Seidenstücker, beide 15 Jahre alt, spielen beim Berliner TSC und in der Berliner Landesauswahl. Sie träumen von einer Profikarriere. Und beide besuchen die Fritz-Reuter-Oberschule in Hohenschönhausen, die seit fünf Jahren mit dem TSC kooperiert. Dort gibt es Handball- und Athletiktraining in zusätzlichem Sportunterricht, vermittelt von einer Lehrerin mit Handball-Vergangenheit.
„Bei uns ist es relativ einfach, Sport und Schule zusammen hinzukriegen“, beschreibt es Hannah. „In der Schule ist es ganz leicht, weil man ja sowieso da ist.“ Nele findet: „Wir sind eine Sportklasse, da gibt es weniger Hausaufgaben.“ Nur sich aufzuraffen, nach der Schule gleich wieder zum Training zu fahren, sei manchmal hart. Der Sportverein seinerseits profitiert, ohne überhaupt einen Trainer abstellen zu müssen.
Die Zusammenarbeit mit Sekundarschulen war es vor allem, die den Handballerinnen vom TSC zur Auszeichnung verhalf. „Wir wollen, dass beim Wechsel auf die Sekundarschule die Bindung zum Verein erhalten bleibt“, so Schlotte.
Hannah Gäbler und Nele Seidenstücker sind Eigengewächse des TSC, sie wurden schon über ihre Grundschulen vermittelt. Auch das ist ein Teil des Konzepts. Die Handballabteilung betreut derzeit an zehn verschiedenen Grundschulen AGs, geleitet etwa durch eine Bundesfreiwilligendienstlerin, eine vom LSB finanzierte Jugendtrainerin sowie handballerfahrene Jugendtrainer. Ein großer Aufwand, den nicht jeder Verein leisten kann. Aber viele tun es.
158 Berliner Sportvereine beteiligen sich nach Angaben des LSB aktuell am Projekt „Schule und Sportverein/-verband“, einer Initiative des LSB und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Insgesamt 682 Sport-AGs organisieren sie damit an Schulen und spülen im Idealfall Mitglieder in den Verein. Die Sportjugend Berlin unterstützt die Vereine nach eigenen Angaben mit Zuschüssen für ÜbungsleiterInnen in Höhe von 20 Euro pro Trainingseinheit von 90 Minuten. Außerdem können die Vereine Fördermittel für Sportmaterialien bis zu 200 Euro beantragen.
Grenzen der Kooperation
Hürden gibt es allerdings. „Wir benötigen erfahrenes Personal, die Bereitschaft der Schule, intakte Turnhallen“, sagt René Schlotte. Er findet: „Der Verein soll auch in Zukunft noch Verein sein. Schauen wir uns die vielen Sportarten und Vereine in Berlin an, dann würden die Schulen sehr schnell an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, wenn jeder Verein an eine Schule geht.“
Ein Bruch mit dem Leistungssystem sind die Sportangebote sowieso nicht. Sie sind vor allem eine zusätzliche Konkurrenz um die ohnehin knapper gewordene Zeit der Kinder. Und doch für viele Sportvereine eine Chance. Etwa für den Frauenhandball, wo Nachwuchsstrukturen schwächer ausgebildet sind als bei den Männern. Und die Risiken größer.
Im Jahr 2017 zog sich beim TSC der Hauptsponsor zurück. Und der traditionsreiche Berliner TSC, seit 1963 im Frauenhandball engagiert, fiel deshalb von der dritten in die fünfte Liga. „Wir waren zu abhängig“, sagt Schlotte. „Wir konnten auf zu wenig eigene Strukturen zurückgreifen. Die Auswirkungen spüren wir noch heute.“
Die Nachwuchsarbeit hilft zurück auf die Beine. Im Berliner Frauenhandball ist ein optimistischer Hauch zu verspüren. Die Spreefüxxe zum Beispiel, die sich im Jahr 2016 aus finanziellen Gründen aus der ersten Liga zurückziehen mussten und in der dritten Liga neu anfingen, sind zurück in der zweiten Liga. Denkbar gar, dass es irgendwann wieder Bundesligahandball der Frauen in der Hauptstadt gibt. Und der Abteilungsleiter des TSC hat diese Saison den Wiederaufstieg in die Oberliga im Blick. Dann solle es in den nächsten fünf bis sechs Jahren behutsam zurück in Liga 3 gehen. Die Jugend ist dafür nicht die schlechteste Basis.
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