Nachtleuchtende Wolken: Poetische Grüße aus der Mesosphäre
Norddeutschland ist ein Klimawandel-Gewinner: Über dem hiesigen Nachthimmel sind nun besonders oft nachtleuchtende Wolken zu beobachten.
BREMEN taz | Wer in Norddeutschland lebt, hat einen höheren Regenhosenverschleiß als seine süddeutschen MitbürgerInnen, auch der Solaranlagen-Ertrag bleibt im Durchschnitt um 15 Prozent hinter vergleichbaren Anlagen etwa in Freiburg zurück. Einen Klima-bedingten Standortvorteil hat der Norddeutsche gleichwohl: Hier oben sind wesentlich häufiger nachtleuchtende Wolken zu beobachten.
Dieses Sommerphänomen zeigt sich vor allem in den späten Abend und frühen Morgenstunden und besteht aus gelb bis silbrig-perlmuttern leuchtenden Gebilden, die sich breit gestreckt vom ansonsten dunklen Nachthimmel abheben. Voraussetzung ist freilich, dass keine normalen Wolken die Sicht verdecken. Denn während die süddeutsche Normalwolke in einer Entfernung von höchstens 13 Kilometern über der Erde schwebt, stehen die norddeutschen Nachtleuchter in einer Höhe von stolzen 81 bis 85 Kilometern.
Damit segeln sie unmittelbar an der Grenze zum Weltall entlang – was auch die Voraussetzung ihrer Leuchtkraft ist. „Sie befinden sich so weit oben in der Atmosphäre, dass sie praktisch die ganze Nacht über von der Sonne angeleuchtet werden“, erklärt Meteorologe Michael Theusner vom Bremerhavener Klimahaus. Das wiederum sei nur zwischen dem 50. und 65. Breitengrad möglich. Anders ausgedrückt: Allenfalls in Frankfurt am Main hat man noch Chancen, den Zipfel einer echten Noctilucent Cloud (NLC) zu erspähen.
Im Prinzip ist das nächtliche Leuchten also eine Reflexion der über Australien scheinenden Sonne. Erstmals dokumentiert wurde das Natur-Phänomen 1885 nach dem gewaltigen Vulkanausbruch von Krakatau, bei der die zwischen Sumatra und Java gelegene Insel vollkommen zerstört wurde.
Fragt man nach den genaueren Entstehungszusammenhängen, stößt man trotzdem noch auf Unklarheit. Die indonesischen Vulkanpartikel gelten mittlerweile nicht mehr als ausschlaggebend; klar scheint aber zu sein, dass sich die NLCs um irgendwelche Kristallisationskerne bilden. Möglicherweise handelt es sich dabei um Material, das beim Verglühen von Meteoriten bei deren Eintritt in die Erdatmosphäre freigesetzt wird. Auch Eiskristalle könnten eine wichtige Rolle spielen: In der Mesosphäre, wie die äußerste Schicht der Erdgashülle genannt wird, herrschen Temperaturen bis zu minus 140 Grad Celsius. In der extrem dünnen Luft dort kristallisiert der wenige Wasserdampf sofort.
Immerhin haben die Süddeutschen Chancen, dass die NLCs im Zuge des Klimawandels irgendwann auch zu ihnen wandern. In den vergangenen zehn bis 20 Jahren sei eine Südverschiebung zu beobachten, sagt Theusner – was auch in Norddeutschland zu ihrer häufigeren Beobachtbarkeit geführt habe. Der Wirkungszusammenhang erscheint vergleichsweise simpel: Der Methangehalt der Atmosphäre steigt stetig, der Klimawandel verursacht eine weitere Abkühlung der Mesosphäre – begünstigt also die Bildung von NLCs.
Ein recht prosaischer Faktor kommt der poetischen Wolkenbildung ebenfalls entgegen: Die NLCs mit ihrer typischen „Wellenstruktur, die dem dem Nachthimmel oft einen malerischen Anstrich verleihen“, wie Meteorologe Theusner schwärmt, würden wohl auch durch Abgase gefördert. Im vergangenen Jahrzehnt nahm der Abgasgehalt der Mesosphäre durch Raketenstarts ständig zu.
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