■ Nachschlag: Raum und Sprache: Der Fernsehturm
Der Fernsehturm ist schwer zu finden. Von Ferne gut zu sehen, weil sehr präzis in der Mitte der Stadt plaziert, ist er ringsum von rätselhaften Bauzäunen ohne Baustelle, aber mit langen hölzernen Fußgängertunneln umgeben. Treppen führen sinnlos rauf und runter, bevor man dann doch irgendwie im Foyer landet. Der Aufzug braucht 40 Sekunden, sechs Meter pro Sekunde, erklärt der livrierte Aufzugführer. Er gehört zum Gebäude als stehendes Inventar dazu, ein Relikt aus DDR-Zeiten. Knopf drücken, nicken, hochfahren: Das läßt sich einigermaßen streßfrei bewältigen.
Oben, im Aussichtsrestaurant, fand am Mittwoch abend eine Veranstaltung statt, die die Bediensteten in Unruhe versetzte, weil sie mit einer Umgruppierung der Bestuhlung verbunden war: Kultur. Eine von der LiteraturWERKstatt Pankow und dem Bund Deutscher Architekten gemeinsam initiierte Veranstaltungsreihe mit dem geräumigen Titel „Raum der Sprache – Sprache im Raum“ drängte hier erstmals an die hochgelegte Öffentlichkeit. Der Pankower Schriftsteller Jens Sparschuh, in dessen wundervoll satirischem Wenderoman „Der Zimmerspringbrunnen“ der Fernsehturm als östliches Heimatsymbol eine zentrale Rolle spielt, war von Autorenseite der richtige Mann für dieses Zusammentreffen. Dazu hatte man den Architekten Wolf R. Eisentraut eingeladen. Da der eine aus Karl-Marx-Stadt, der andere aus Chemnitz stammt, hatte man wohl gehofft, daß das Gespräch über „die Rolle und die Möglichkeiten der beiden Künste innerhalb des großen gesellschaftlichen Zusammenhangs“ von selbst in Fahrt käme. Doch die Suche nach Gemeinsamkeiten und Differenzen (ein Buch kann man zuklappen, ein Gebäude nicht, aber beide brauchen eine exakte Statik, damit das Ganze nicht zum Einsturz kommt etc.) führte – nach Sparschuhs Lesung – zu eher bescheidenen Ergebnissen.
Für Sparschuh ist der Turm in seiner das städtebauliche Desaster überragenden Fortschrittstrunkenheit die gelungene, liebenswerte Verkörperung des Ulbricht-Mottos „Überholen ohne einzuholen“. Eisentraut betonte dessen Bedeutung als Symbol des technischen Fortschritts und der Führungsrolle der Partei. Schließlich sei es schon bei Lenin revolutionärer Brauch gewesen, die Sender als Schaltstellen der Agitations-Macht zu besetzen. Aber der Turm war auch ein öffentlicher Ort, ein Fern-Seh-Turm, der der östlichen Bevölkerung den Blick über ein fernes, flaches, ameisenhaft unbedeutendes West-Berlin ermöglichte. Der Aufzug braucht übrigens auch abwärts 40 Sekunden. Die Frage, ob man sich als professioneller Aufzugfahrer gegen den Druck auf den Ohren abhärten könne, wollte der Aufzugführer nicht beantworten, verschwieg aber nicht, zu DDR-Zeiten Unteroffizier gewesen zu sein. Jörg Magenau
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