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Nachschlag

■ Emma Carlson & Dancer's mit „Inner Corner“ im Tacheles

Nicht zu zweit sein können, aber auch nicht allein – und zu dritt wird gleich alles noch mal komplizierter. Macht, Erotik, Haß, Zwang, Zuneigung. Ein nicht enden wollendes Thema, dem sich Emma Carlson & Dancer's, drei Frauen aus Wales, da zugewandt haben. „Inner Corner“, das ist der Blick auf subtile Gemeinschaftszwänge, übersetzt in eine gelegentlich furiose Bewegungssprache. Zieht die Schwerkraft den Körper einer Tänzerin nach vorn, scheinen die anderen magnetisch mitgezogen, so als ob sie über ein kollektives Unterbewußtsein verfügten. Ein Impuls setzt gleich alle drei Körper automatisch in Bewegung. Austritte aus dieser Synchrongemeinschaft sind nicht erlaubt und – das ist der Haken dieses Abends – sie werden mit strafenden Blicken geahndet. Moralisch geht es zu und immer vorhersehbar: Den Gesten des Aufbegehrens folgen die Unterwerfung und Wiedereingliederung, Äußerungen von Zuneigung werden mit Machtgelüsten beantwortet, und alle weiteren Kontaktversuche scheitern an Berührungsängsten. Psychoterror in Variationen, die an Albee's „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ und Tennessee Williams „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ erinnern. Doch seitdem sind zu viele Jahre ins Land gegangen, und was damals wirksam war, ist heute Klischee. Das „oft absurde, widersprüchliche und manchmal tötende benehmen der menschen“ ist traurig, – aber so unhinterfragt auf die Bühne gestellt, ist es dann doch dumm. Anflüge von Humor leiden an der Schwere der moralischen Botschaften, und lange bevor der Abend die Halbzeit erreicht hat, ahnt man, daß keine Überraschungen mehr zu erwarten sind. Doch das ist ein Irrtum. Ungefähr zehn Minuten vor Schluß scheint der Choreographin Emma Carlson die Puste ausgegangen zu sein: Blicke und Gesten wollen nicht mehr bedeuten, dienen nur noch dem genauen Timing. Rasant wird von Stühlen gesprungen, über den Boden gerollt und durch den Raum gehechtet. Atemlos und mit ungeheurer Geschwindigkeit steht der Tanz jetzt für sich selbst und ist auf einmal – leider zu spät – spannend. Michaela Schlagenwerth

Bis zum 29.8., 21 Uhr im Theatersaal des Tacheles

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