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Nachschlag

■ „Beckett Late Nights“: Burleskes in der Volksbühne

Draußen vor der Tür eine blutverschmierte „Leiche“, im Keller die Katastrophe, auch sehr blutig: typisch Volksbühne! Herbert Fritschs Beckett-Liebe entsprang die Idee zu den „Beckett Late Nights“. Selbst inszenierte der Schauspieler zwei Stücke, ebenso der Hausherr. Castorf übernahm, wie immer, den aggressiveren Part, während Fritsch grotesken Witz in Szene setzte.

Vor allem mit den „rausfallenden alten Weibern“ von Daniil Charms, die auch im Beckett-Programm Platz hatten. 35 alte, meist häßliche, manchmal nur schrullige, oft verrückte Weiber purzeln, springen, kippen, fallen oder rutschen in dieser Szenenfolge aus dem Fenster. Das Publikum kreischt und kichert, passend zur Kreuzung von Stummfilmpathos und derbem Volksstück röhrt der Hirsch von der Wand der kitschigen Bühne. Als sämtliche Ensemblemitglieder ihren Lauf durchs Fenster genommen haben, bleibt die Bühne zertrümmert zurück, einer furienhaften Senilität zum Opfer gefallen.

Die „Nicht ich“-Inszenierung Fritschs dagegen ist ein komisches Chaos mit minimalen Mitteln, wunderschön und erstaunlich. Heide Kipps blutroter Mund auf schwarzer Leinwand formt „all die Verrenkungen, ohne die ein Sprechen nicht möglich ist“. Doch die Worte – sie werden gesprochen von der Schauspielerin, die auf fast dunkler Bühne vor ihrem schwebenden Mund wandelt – passen nicht, entfernen sich von der Lippenbewegung, irritieren und entgleiten. Die Augen der ZuschauerInnen werden gebannt von diesem unruhigen Lippentier, das, anfangs nur ein schmaler Streifen, plötzlich fast die Projektionsfläche verschlingt. Wenn etwas Alltägliches besonders lange und gründlich angesehen wird, verwandelt es sich in eine unvertraute, komische Form – nach diesem Prinzip funktioniert die Inszenierung. Herbert Fritsch hat sich mit „Nicht ich“ (1972) einen Strudel von Sätzen herausgegriffen, die Beckett dem Selbstgespräch einer Irin entlehnte. Die Frau verweigert sich ihrem „Ich“, auf der Suche nach der Sinnkongruenz zwischen optischen und akustischen Reizen kreuzen sich in den Gehirnen der ZuschauerInnen Informationen – doch sie passen nicht zusammen.

Später dann führen weiße Pfeile durch lange Gänge, treppauf, treppab. Im zugigen Kohlenkeller sitzen Magne Horvard Brekke und Horst Westphal auf naßschimmernden Kohlehaufen. Ein blinder Geigenspieler und ein einbeiniger Rollstuhlfahrer. Es tropft von der Decke. Die beiden sind wie gemacht füreinander, und doch ist da Haß zwischen ihnen, wie sie in einem Kohlenwagen in den Heizungskeller ziehen. Zwischen dicken Heizungsrohren tut sich ein Abgrund auf. Ein Porno flimmert über den Kleinbildschirm, dem Blinden genügen die Geräusche. Es ist die einzige wesentliche Abweichung, die Castorf sich in „Bruchstück I“ gönnt (abgesehen davon, daß Westphal von der „Wende“ spricht anstelle der „Kehrtwendung“). Ganz anders die „Katastrophe“ (1982, für Václav Havel): Vom Beckett-Text über einen allmächtigen Regisseur, seine Assistentin und den ihm ausgelieferten Schauspieler bleibt im ersten Durchlauf fast nichts. Der Schauspieler ist hier ein Koch, der seinem eigenen Rezept gehorcht und die Zuschauer bedroht. Eine Sauerei, wahrlich: Ein Schlachtmesser sticht zu, Teller werden zertrümmert, Gläser splittern, rote Farbe fließt, Kartoffelsalat fliegt, die Assistentin setzt sich in eine Torte, und im Tresen sitzt eine Regieleiche. Castorf fleddert und tobt – irgendwann wohl wird Peter Greenaway bei ihm zu Gast sein. Es war lustig, mir war übel. Petra Brändle

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