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SanssouciNachschlag

■ F. A. Kittler in der Autorenbuchhandlung

Es hätte ein geselliger Abend mit vergnüglichen Zitaten aus der Dracula-Literatur werden können. Der Medientheoretiker Friedrich Kittler wollte dem Publikum in der Autorenbuchhandlung eigentlich einen Text präsentieren, in dem er Lacan, Mediengeschichte und Stokers Vampirroman parallel verarbeitet hatte. Doch auf Anfrage der taz änderte er sein Programm und las über Computertheorie. So wurde aus einem plauschigen Abend in romantischem Vampirton eine Einführung in Maschinensprache und MS-DOS-Deutsch, der Sprache, die die meisten Textverarbeitungssysteme kontrolliert. Kittler mutete seinen Zuhörern begrifflichen Tobak zu, den er jedoch manchmal durch gefällige Stimmodulation dem Genius loci der Autorenbuchhandlung anpaßte.

Zwei Punkte untersuchte Kittler in dem vorgetragenen Aufsatz „Es gibt keine Software“. Seiner Meinung nach verstellen Software-Handbücher und sogenannte „benutzerfreundliche Oberflächen“ den Zugang zu den PCs. Ein bißchen Tüftelei und Mündigkeit in Programmiersprachen eröffne jedoch jedem Nutzer Möglichkeiten, mit der Maschine anders umzugehen. Kittler zeigte, daß die derzeitige Computerarchitektur streng hierarchisch ist. Zur Aufrechterhaltung ihrer Hierarchie bindet sie Kräfte, die eigentlich dem Nutzer zur Verfügung stehen sollten. Kittlers Computerkunde will dagegen Strategien der Hintergehung von Industrienormen lehren. Ihre Forderung an die Software-Industrie lautet deshalb: „Copyleft statt Copyright“.

Das führt zu der grundsätzlichen Frage, ob es Software überhaupt geben muß. Mit dem Rücken zur Hegel-Ausgabe erklärte Kittler in der Autorenbuchhandlung, diese Software sei eine Verlängerung des deutschen Idealismus. Sie präsentiere sich als Herr über die „knechtische“ Maschine und wolle letztendlich menschlicher als der Mensch werden. In Anlehnung an Studien von Brosl Hassbacher und Michael Conrad beschrieb Kittler seine Vision von neuen Maschinen, die so komplex gebaut sind, daß sie seiner Liebe zu „Wolken, Wellen und Kriegen“ gerecht werden.

Eine lebhafte Diskussion über diese Theorie konnte am Montag abend nicht entstehen. Kittler begnügte sich allerdings auch nicht damit, für eine neue Bastelleidenschaft zu werben, sondern formulierte Ideen für eine neue Kulturwissenschaft, wie er sie an der Humboldt-Universität lehren wird: eine Wissenschaft, die zwischen der Welt der Zahlen und dem Reich der Buchstaben nach europäischen Wegen im Umgang mit der Computerkultur sucht. Nils Roeller

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