Sanssouci: Nachschlag
■ Benjamin & Jessica - Travestie in der Urania
Was tun, wenn die Eltern nach Weihnachten nach Berlin kommen und mal richtig einen losmachen wollen? Und wenn sie nicht zu überreden sind, nur wegen der Fischschwanznummer von Herbert Fritsch die Räuberhöhle der Volksbühne aufzusuchen, wenn die Scheinbar zu unscheinbar erscheint, und sie nicht dran glauben, für einen Abend mit Harald Juhnke im Theater am Kurfürstendamm noch Karten ergattern zu können? Wenn sie sich statt dessen unbedingt eine Revue mit viel Glitzer und Fummel und auch mit Travestie ansehen wollen? Dann führt kein Weg an der „Star-Illusion-Show“ von Benjamin & Jessica vorbei.
Die Fangemeinde, die sich in der Urania versammelt, wird kaum zur Stammkundschaft von Tom's Bar oder vom Hafen zählen, sondern tritt selbst in Sat.1.-bunten Sakkos auf, mit Roland- Kaiser-Fönwellen und Farbe aus dem Sonnenstudio. Gefragt ist bei ihnen das Nette, das fürs Herz, tantiger Glamour, wie weiland in der ZDF-„Drehscheibe“. Jessica ist die Diva, und in seinen großen Momenten funkelt er fast wie Madonna ins Publikum hinein. Benjamin macht auf Gisela Schlüter, und ist die bissig- herrische Tante in der Opferrolle. Gemeinsam singen sie sich durch Schlager und unterstreichen deren spießige Ralph-Siegel- Prägung. Jessica bewegt sich nicht schlecht und zeigt sich dafür etwas eitel. Benjamin hält das Publikum mit prüden Tabubrecher-Zötchen bei Laune. Zu sehen sind aber auch die strippenden Carsten I und II, zwei sympathische und liebe Bodybuilder mit strammen Ärschen und natürlich Iris und Roy aus Kalifornien. Iris, von Natur aus Frau, ist aber zu schön und darf Jessica nicht die Show stehlen. Erstaunlich an der Revue ist der ungemeine Aufwand an Gala-Kostümen: 52mal ziehen sich die beiden im Laufe eines Abends um. Aber gut gemeint ist noch lange nicht gut. Benjamin hatte schweigend eine Nummer im Rokoko- Kostüm gerettet. Als er aber mit Gottfried-Wendehals-Stimme die Polonaise „So zärtlich wie Mozart auf die Klaviä spielt Amadeus abends mit miä“ krähte, da hatte er es sich selbst gegeben. Benjamin konnte noch so lieb die Augen aufschlagen. Das war nicht camp, das war billig. Fernando Offermann
Heute und morgen 20 Uhr, die Gala-Vorstellung am 31.12. beginnt bereits um 19 Uhr, Urania, An der Urania, Schöneberg.
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