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Nachschlag

■ In der Schiller-Werkstatt zeigt das carrousel ein Road-Drama

Andreas Hoppe und Rainer Büttner Foto: Thomas Aurin

„Bringt man moralische Fragen zur Sprache, dann sehen einen die Leute an, als ob einem der Hosenstall offensteht“, sagte der Dramatiker und Oscar-Preisträger Steve Tesich einmal. Ein wahres Wort. Nichts ist peinlicher als Pathos, und die guten alten „großen Fragen“ sind heute vielleicht schwerer ins Jugendtheater zu bringen als Sex, S/M oder Aids. In Steve Tesichs „On the Open Road“ aber geschieht ein Wunder. Es geht um Kunst, Freiheit, Liebe und den Sinn des Lebens, sogar Jesus Christus tritt auf, und doch wirkt nichts peinlich oder auch nur angestrengt.

Am Anfang steht ein seltsames Bewerbungsgespräch. In einem von Kriegen zerstörten Land ist der bärenstarke Angel (Andreas Hoppe) unter dem Galgen vergessen worden. Zum Glück kommt Al (Rainer Büttner) des Weges, ein eiskalter Kopfmensch, der einen Ochsen für seinen Karren voller Kunstwerke braucht. So ziehen sie davon, auf der Suche nach dem „Land der Freien“. Überflüssig zu sagen, daß sie dieses Land nie erreichen werden. Die tapsigen Freundschaftsangebote Angels hält sich Al mit dem Messer vom Leib: Er, der Intellektuelle, kann weder Neugier noch Liebe mehr empfinden – ein Doppelgänger der ausgebrannten Ästheten aus der romantischen Literatur. Sehr langsam kommen beide einander näher, und erst am Ende entdeckt Al, daß Kunst und Liebe einander nicht ausschließen. Tesich hat ein einfaches Bild dafür: Jesus spielt Cello. Dessen Wiederkunft jedoch hat den Krieg ausgelöst, er wird letztlich erstochen, die gedungenen Christus-Mörder Angel und Al werden gekreuzigt und kommen ins Museum.

Daß in dieser abenteuerlichen Handlung keine Spur von Kitsch zu finden ist, ist Tesichs lakonischem Humor zu danken: „Licht aus bei Sonnenaufgang“ heißt es, wenn die Helden im Morgengrauen hingerichtet werden sollen. In der deutschen Erstaufführung, die Jürgen Zielinski für das caroussel Theater in der Werkstatt des Schiller-Theaters inszeniert hat, werden die Gewalthandlungen nur angedeutet, ohne daß der Eindruck extremer Brutalität abgeschwächt würde. Momme Röhrbein hat die kleine Bühne so eingerichtet, daß Angel und Al in dem wüsten Land weite Strecken zurückzulegen scheinen, ohne jemals irgendwo anzukommen: Stationen eines ironischen Passionsspiels. Miriam Hoffmeyer

„On the Open Road“, bis 11. 11., Do–Sa, 19.30 Uhr (außer 26. 10. und 2. 11.), Werkstatt, Bismarckstraße 110, Charlottenburg

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