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SanssouciNachschlag

■ "Rama Darm": Von Klosettgeräuschen zusammengehalten

Arne Hector und Julika Möller Foto: Thomas Aurin

Schweigende Menschen im Wartezimmer: Hoch über den Köpfen der Patienten blickt herrisch die Sprechstundenhilfe, in schneeweißes Leder gegürtet, aus ihrem Fensterchen. Eine Patientin bewegt stumm und irr die Lippen, eine andere fingert zierlich in Zeitschriften herum und macht Grübchen, um den dritten Wartenden zu betören. Alles scheint harmlos, jeder kennt solche Wartezimmer, in denen die Patienten sich gegenseitig aus den Augenwinkeln belauern. Wenn nur die seltsame Sprechstundenhilfe nicht wäre. Und als der steife Herr schließlich auftaut, sagt er: „Käse verdaut alles außer sich selbst!“ – „Rohkopf und blutige Knochen“, erwidert die Dame. Und warum ist das Licht so gleißend hinter der Tür zum Sprechzimmer, aus dem die Patienten seltsam verändert wiederkommen, beladen mit Packungen feinsten Haushaltsfetts?

„Rama Darm“ ist die erste Produktion der Darstellergesellschaft Laboa, in der sich mehrere freie Gruppen und Performer, begabte Laien und Profis zusammengeschlossen haben. Das Geräusch einer Klosettspülung soll das dreigeteilte Dreispartenstück zusammenhalten. Tatsächlich aber ist der Schluß nur ein ungeliebtes Anhängsel, während das erste Stück (von Ute Lindenbeck) und das zweite (von Nikolas Bussmann und Benjamin Foerster-Baldenius) zusammengehören wie Yin und Yang. Nach der surrealen Vorhölle des Wartezimmers entdecken die Zuschauer die Wirklichkeit hinter der geheimnisvollen Tür. Nur mit Kletter- und Rutschmanövern durch den abenteuerlichen Theaterraum, den Sabine Balzer und Bri Newesely gebaut haben, ist die Spiegelwelt zu erreichen. Auf die Stille folgt Lärm, auf Texte von James Joyce die Sprache Robert Lembkes. Eine Gameshow- Parodie zu zeigen ist zwar längst nicht mehr originell, aber diese Show besticht durch ihre abgrundtiefe Gemeinheit und die ordinären Witze, die Regisseur Michael Fieling auf der Baustelle aufgesammelt hat und die nicht nur Frauen, Schwule und Polen verhöhnen, sondern vor allem Heiner Müller. Es ist nach den Hymnen und Elegien der letzten Wochen höchst erfrischend, einen angeblichen Sohn Müllers in Heintje-Manier die Urne des Vaters besingen zu hören. Dann drängte das Publikum machtvoll zur Bar. „Rama Darm“ ist ein Stück wie ein Überraschungsei. Weil Laboa bald auf Tournee fährt, muß sich beeilen, wer noch eins abbekommen will. Miriam Hoffmeyer

29. Februar und 1. bis 3. März, jeweils 20 Uhr, im Hochzeitsraum, Strelitzer Straße 60, 2. Hof, Prenzlauer Berg, Tel.: 4447526

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