■ Nachschlag: Streßfrei und informativ: Das 36. Deutsch-Amerikanische Volksfest
Im Unterschied zum ländlichen Rummel, der Dorfgemeinschaften den ebenso schlichten wie willkommenen Vorwand zum kollektiven Saufen, Schuleschwänzen und nächtlicher Rumtreiberei bietet, stehen die vielen Berliner Volksfeste unter einem gewissen Legitimierungsdruck. In dieser Hinsicht waren das Deutsch-Französische Volksfest und das Deutsch-Amerikanische Volksfest traditionell fein raus – man hatte ja alljährlich das friedliche und kommode Nebeneinander von Besatzungsmächten und Kriegsverlieren zu feiern. Heute, da die GIs anderswo ihren Service verrichten, präsentiert das 36. DAV amerikanische Kultur nur noch in Form von Pappmaché-Buden, die an ein Midwest-Dorf erinnern sollen, Baptistenkirche inklusive. Dort werden Hot dogs, Hamburger, Tacos und amerikanische Minispielzeugfriedhöfe (59 Mark) angeboten.
Die Veranstaltung steht heuer unter dem Motto „Massachusetts, Birthplace of America“. Sich der Anfänge der US-amerikanischen Nation zu besinnen scheint sinnvoll, denn die meisten Besucher kommen mit Neugierde in ein Land, das sie bislang nur aus dem Fernsehen kennen. Auf dem Festplatz wird wesentlich mehr russisch und polnisch gesprochen als amerikanisch.
Das bestätigt Claudia Ashley aus Kentucky, die sich sehr kunstvoll bayerische Bauernschrankmuster auf die Wangen geschminkt hat. Es sei ein wunderbares Gefühl auf diesem „Wolksvest“, daß so viele Leute an Amerika interessiert seien. Wie zum Dank für diese vielen good vibrations schenkte mir die nette Mittvierzigerin ein Marshmallow und lud mich ein, sie am kommenden Mittwoch nachmittag als Shirley Temple auf der Bühne zu bewundern. Das ist sicher interessanter als die langweilige „Dana Smith und ihre Tina- Turner-Show“ vom vergangenen Wochenende. Den vielen Kindern im Publikum jedoch gefiel es offenbar, und damit ist ja auch manchem gedient, nicht zuletzt den Schaustellern, die die Familienfreundlichkeit des gutbesuchten DAV schätzen. Trotzdem wird das Deutsch-Amerikanische Volksfest nicht umhinkönnen, in Zukunft über ein neues Profil nachzudenken. Im Sinne der Volkserziehung wäre ein Bonn-Berliner Volksfest wohl die logische Konsequenz. Dorothee Wenner
Noch bis 11.8., Volksfestplatz am Hüttenweg, Dahlem, Eintritt: 2,50 DM, Kinder bis 14 Jahre frei. Jeden Mittwoch kosten alle Karussells und Bahnen nur die Hälfte.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen