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■ NachschlagIch kotz' TV: Das Theater Kohlenpott mit „Amokoma“ im Tacheles

„Ich kann's nicht mehr hören“, sagt das Mädchen auf dem gestelzt hohen Stuhl. Sie zappt sich durch die Programme: kein Bild mehr auf allen Kanälen. Von ihr, die vielleicht eine Hoffnungsträgerin sein könnte, sieht man nur den Rücken. Ihre Sätze kommen immer wieder: schierer Überdruß, leicht genervt. Aber das Kind tut nichts, um sich gegen das zu wehren, was auf es einströmt. Auch das sind Sätze und Sentenzen, Schnipsel äußerer und innerer Befindlichkeiten, Bruchstücke von Biografien, Träume und Alpträume.

Willi Thomczyk und sein Theater Kohlenpott wollen in ihrer beim diesjährigen „Theaterzwang“-Festival der freien Gruppen in NRW mit dem 1. Preis ausgezeichneten Produktion ein Ritual beschreiben. Um den „Amoklauf unserer Zeit“ soll es gehen, nichts weniger. Vom schalen Urlaubsglück ist da die Rede und immer wieder vom Kaufen, von entwurzelten Menschen, die sich nur noch in vorfabrizierten Mustern äußern können, wenn nicht gerade klaustrophobe Phantasien hochschwappen. Und selbst der Amok im Hirn ist so zugeschüttet von Bildern und Handlungsanweisungen, daß für das Handeln nur noch Koma bleibt. Ich kotz' TV und kann nichts dagegen tun – so lautet Thomczyks These in etwa.

Folgerichtig gibt es in seinem szenischen Poem keine Menschen, sondern nackte Schablonen, auf die sich alles projizieren läßt. Nackt sind auch die fünf Darsteller. Wie Statuen drapiert sie der Autor/Regisseur um einen thronartigen Fernsehsessel. In wechselnden Positionen sprechen sich die Körper durch Wirklichkeiten aus zweiter Hand. Mal solo, mal im Chor, mal singend und meist von elektronischen Klängen begleitet. Thomczyk geht es um Grundsätzliches. Seine Beschreibung einer übersättigt kranken Gesellschaft umfaßt alles, was das Fernsehen anbietet: Flüchtlinge, Folter, Nazis, ein Satz für jedes Thema. Statt Analyse ein wortreiches Raunen über die Ausweglosigkeit des Seins. In schmerzhaft-schönen Stand-Bildern, die mehr aussagen als der vollgestopfte Text. Gerd Hartmann

Noch 27. bis 31.8., 21 Uhr, Tacheles, Oranienburger Straße 53-56

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