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■ NachschlagEndtanz: Magdalena Esponda und Ebba Rohweder im Kunstschiff Anna

Die Kunst sucht leere Orte, um sich in dem immer enger werdenden Korsett der Berliner Finanzen doch noch bewegen zu können. Keller, Krypten und Ruinen – jede mietfreie Behausung ist gefragt. Das Kunstschiff Anna, das im historischen Hafen an der Fischerinsel liegt, ist so ein Eldorado. Als Lastkahn von anno 1910 erst Anfang der neunziger Jahre ausgemustert, ist er den einen reif zum Verschrotten, den anderen aber verschrobener Freiraum.

Vor einem Jahr hat die Argentinierin Magdalena Esponda den Kahn in zäher Kleinarbeit mit ihrer Truppe „Freie Gruppe Körperausdruck“ vom Kohlendreck befreit, den Bauch des Schiffes und seine 200 qm große Spielfläche offengelegt. Bei ihrer letzten eigenen Performance dieser Saison enthüllt sie darin zusammen mit der Flötistin Ebba Rohweder die Facetten des Themas „Tod“. In losen Bildern tanzt sie sich – ganz in roten Stoff gehüllt – in die Ekstase des Endes. Dabei saugt sie mit ihrem Mund das Tuch in sich hinein; wo sonst das Leben war, entsteht ein tiefes, zahnloses Loch. Die minimalistischen Bewegungen erinnern an eine leise Form des Butohtanzes, der hier aber ohne seine zwanghafte Heftigkeit daherkommt.

Die bewegten Bilder wechseln mit Kompositionen, die Ebba Rohweder zum Klang der im Wind raschelnden Dachplane als langgezogene Töne improvisiert. Manchmal ist die Musik durchsetzt mit sinnlos anmutenden Satzfragmenten. „Und fliegen“, ist einer. Herausgerissen aus jedwedem Kontext, bleibt er nicht ohne Poesie. Es sind die unscheinbaren Momente, die bestechen. So, wenn die Flötistin der Sängerin den Raum überläßt, am Publikum vorbeigeht und mit dem Mund nach ihm schnappt, ohne den Kopf zu bewegen. Eine Geste, die ins Leere greift und diese doch gleichzeitig offenlegt. Stoff ist auch einzige Requisite in der Szene, bei der sich die beiden Künstlerinnen – darunter verborgen – in ephemere Skulpturen verwandeln: Gespenster, aufwachende Madonnen, Interim-Pieta oder entvölkerte Landschaften. Ein Déjà-vu-Gefühl stellt sich ein; Poesie, verstärkt durch den alten Kahn und seine verrußten Eisenwände, die jedem Ton der Flöte ihr eigenes Echo geben, wechselt mit ästhetischem Zitat, eigensinnige Metapher mit getanztem Klischee.

Magdalena Esponda, die 18 Jahre ihres Lebens unter einer Diktatur gelebt hat, immer am Rand großer Gefahr, sagt, daß sie sich seither nur auf die Gegenwart beziehe. „Gegen die Diktatur zu kämpfen bedeutet, im Heute zu leben. Intensität hat mehr wert als Zeit.“ Was für eine Herausforderung! Waltraud Schwab

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