■ Nachschlag: Ganz normale Außenseiter: Nicky Silvers Stück "Pterodactylus"
Die Duncans sind eine schreckliche, nette Familie. Amerikanische Mittelklasse wie aus dem Bilderbuch und entsprechend ganz normal verrückt. Nur bei Nicky Silver noch um einen Zacken durchgeknallter.
Das carrousel-Theater zeigt sein Stück „Pterodactylus“ in der Schiller-Werkstatt: Vater Duncan (Wolfgang Müller-Dhein) hat seinen Job als Banker verloren, verrät davon nichts und geht jeden Morgen weiter artig zur Arbeit. Mama ist eine Über-Mutter, die sich ganz dem Alkohol und dem Konsumrausch hingibt und ansonsten mit Wonne Partys organisiert. Tochter Emma hat sich einen jungen Mann angelacht, der aber keinen Sex mit ihr will (kein Wunder, ist er doch verklemmt schwul) und außerdem ganz standesungemäß Kellner ist. Mutti kommt das ganz recht, und so stellt sie ihn bis zur Hochzeit erst mal als Dienstmädchen im kleinen Schwarzen ein.
Halbwegs normal scheint da nur der Sohn Todd (Sebastian Reusse) zu sein, zwar schwul, aber wenigstens offen, zwar HIV-infiziert, aber er hat sich weder aufgegeben noch dem Trübsinn hingegeben. Weil die Familie ganz mit ihren Neurosen beschäftigt ist, buddelt er im Garten einen Dinosaurier aus und bastelt ihn im elterlichen Wohnzimmer Knochen für Knochen zusammen. Ein Mahnmal für die Vergänglichkeit jeglicher Gattung.
Nicky Silver, seit drei Jahren der Aufsteiger am Broadway, verrührt in seiner Farce Versatzstücke aus Boulevard und Psychodrama, jüdischen Witz und Trivialmythen mit abgeschmackt grotesken Einfällen. Seine Stücke, die gerade von deutschen Bühnen entdeckt werden, sind Zwitterwesen aus Neil Simon, Tennessee Williams und den „Golden Girls“ im Kifferrausch.
In „Pterodactylus“ zeigt sich Silver als geistiger Bruder von Tony Kushner, dessen großer Bühnenhit „Engel in Amerika“ ja unterdessen auch in Deutschland erfolgreich aufgeführt wurde. Er legt allerdings nicht so demonstrativ wie Kushner einen politisch-aufklärerischen Impetus an den Tag. Silver reizt das Publikum eher mit kräftigem Boulevardtheaterfutter.
Klaus-Peter Fischers Inszenierung bemüht sich zwar um Tempo und groteske Momente, aber unterm Strich bleibt sie doch reichlich lustlos, zu lieblos und konturlos in Szene gesetzt, zumal in einem uninspirierten, meist sogar hinderlichen Bühnenbild (Tom Presting). Hier herrscht am Ende zuviel deutsche Schwermut; die schamlose Lust an der Groteske, die man für Silvers Stück dringend braucht, bleibt Fehlanzeige.
Vor allem die drei Männer bleiben blaß. Anders Erika Sieger als Mutter, eine zur Hysterie neigende Diva, und die Tochter (Heike Flasche).
Sie schaffen hin und wieder die schwierige Gratwanderung zwischen menschlicher Tragik und absurder Komik, den ganz normalen Wahnsinn schleichend und nicht einfach nur lärmend auf die Bühne zu bringen. Axel Schock
Nächste Vorstellungen erst im Dezember in der Schiller-Werkstatt, Bismarckstraße, Charlottenburg
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