■ Nachschlag: Abgeräumte Denkmäler – Sophie Calle in der Galerie Arndt & Partner
Die Leere bringt seltsame Sätze hervor: „Es gibt keine echten Männer mehr“, klagt jemand angesichts des sandigen Rechtecks, das ein abgebautes Kampfgruppendenkmal in der Hohenschönhauser Straße hinterlassen hat. Sagt das ein Mann oder eine Frau? Wir lesen von der erinnernden Person noch – „Ich wohne gleich gegenüber, und dieses Denkmal hat mich immer träumen lassen“, dann schaltet sich schon der nächste Kommentar ein: „Ich habe meinem Sohn anhand der Helme das Zählen beigebracht, hoch bis dreiundzwanzig.“ Eingesammelt hat die Stimmen zu den verschwundenen Emblemen und Monumenten im Ostberliner Stadtbild die französische Künstlerin Sophie Calle. Zusammen mit großen Fotografien der Lücken im Stadtbild bilden sie eine Dokumentation des Abwesenden in der Galerie Arndt&Partner. Nur die Halterungen sind übriggeblieben von der Tafel „Lenin arbeitete im Jahre 1895 in diesem Gebäude“ an der Bibliothek am Bebelplatz. Die Entfernung erscheint als absurde Tabuisierung. Das Fehlen der repräsentativen Zeichen der Staatsmacht DDR – wie der leere Stahlring, wo Hammer, Zirkel und Ährenkranz am Palast der Republik abgebaut wurden – entwickelt eine eigene Bedeutungsebene: „Die Werkzeuge der Utopie sind nun verschwunden.“ Als alltägliche Markierungen verlieren die Denkmäler ihr Pathos. Der persönliche Gebrauchswert relativiert ihre politische Funktion. Während die Stadt eine zweifelhafte Entsorgung der Geschichte betreibt, haben Künstler längst unprätentiöse Formen der Kommentierung gefunden.
Schon 1993 zeigten Margarita Albrecht und Felicitas Franck Fotografien abgeräumter Sockel im Künstlerhaus Bethanien. Vincent Trasov hat auf die Geschichtsbereinigung mittels Austausch von Straßennamen mit einer umfangreichen Arbeit geantwortet, die alte und neue Schilder als Aquarellbilder nebeneinanderstellt. Solche Projekte entstehen fast nie im Auftrag, sondern aus der spezifischen Motivation der Künstler. So war für Sophie Calle, die seit zwanzig Jahren in vielfältigen Formen die fiktionale Kraft des Abwesenden nutzt, das Abräumen der Denkmäler der DDR Anlaß ihrer ersten Deutschlandreise. Aus der Überschneidung von privatem und sozialem Gedächtnis, aus der Widersprüchlichkeit der Erinnerungen, gewinnt ihr Projekt „Die Entfernung“ seine aktuelle Brisanz und erzählerische Poesie. Katrin Bettina Müller
Sophie Calle: „Die Entfernung“, bis 8.12., Galerie Arndt & Partner, Hackesche Höfe. Katalog (mit Fotos von Daniel Rückert) 48 DM
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