■ Nachschlag: Das SchauHaus spielte im Schokoladen „Böhmen am Meer“
Die Argumente liegen am Boden, die Revolutionäre sind betrunken. Zwischen Pflastersteinen und Plastikentchen wachen zwei Männer in die üblichen Diskussionen hinein auf: „davon kommen wir wohl nie los“, vom Kommunismus, doch „die Flamme der Revolution ist verloschen“. Meint der eine, während der andere das nicht „so eng“ sehen will. Und dazu zupft der Gitarrist den Stones-Song.
„Böhmen am Meer“: das ist der Traum von einem befreiten Land; Volker Braun und Ingeborg Bachmann lassen grüßen, und während der Skeptiker sich die Zähne putzt, zitiert er mit Büchners Worten den traurigen Lebensverdruß des Leonce. Die Sonne der Zuversicht dörrt ihnen die Schädel aus, der Fusel feuchtet die Kehlen und benebelt die Sinne: fern ist jede Realität und Praxis. Was das SchauHaus im Schokoladen präsentiert, ist eine Collage aus Kotti- und Kolle- Gerede: die Revolution, das denk- und beredbare Wesen.
Die Szene lebt. Vor allem wenn sie sich aus dem Publikum einmischt. Während der eine Revolutionär ein wenig auf Trebe geht, schmiert sich der andere zum Sonnenbad mit Öl ein. Was eine Frau aus der ersten Reihe nicht ruhen läßt. Ein „bißchen mehr Meer“ fordert sie und erinnert das Publikum an „10 Jahre 1. Mai“. Der Publikumsbeschimpfung folgt die Publikumsanimation: Dabei gerät die Frau in revolutionäre Phrasen und der sonnenbadende Revolutionär in kleinbürgerliches Träumen.
Der Denk-Kampf dreier Revolutionäre, der auch einmal zum privaten (sexuellen) Glück zweier sich aufschwingt oder abstürzt, er wird von den SchauHaus-Leuten mit der authentischen Lebendigkeit eines B-Pictures gegeben. Hier ist alles Zitat, bloß die Theorie ist nicht mehr sicher: Machiavellismus oder Marxismus, das ist die Frage. Nur eines ist klar: Tod den Verrätern, und schon donnern die Steine gegen die Wand, und der Mörtel spritzt. Eine flotte Inszenierung, wohltemperiert, mit Off-Szene untypisch guten Darstellern.
Nach anderthalb Stunden, wenn alles gesagt ist, gehen die drei nach Hause. Der rote Herzballon ist beim Aufpusten geplatzt, was bleibt, ist Böhmen, der Traum von der Freiheit und dem Meer. Das Publikum wird mit Wassergewehren bespritzt, und zu Smetanas Moldau macht man sich auf getrennte Wege. Hartmut Krug
„Böhmen am Meer“, 5. Mai, Treffen junger Theater, Rungestr. 20
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen