■ Nachschlag: Die Nase des Theaters: Süskindisches in der Volksbühne
Kein Zweifel: es stinkt. Ein ekliger, fauler Geruch durchzieht den dritten Stock der Volksbühne, wird stechend-ammoniakig, reizt zum Husten. Auf der Bühne wird ein Kind geboren: Ein wassergefüllter Plastiksack plumpst unter einem Kleid hervor. So dreckig und lakonisch beginnt das Leben des Grenouille. Später duftet es frischer, Maiglöckchen, Eau de Cologne, noch später zimtig und schwül- orientalisch. Da hat Grenouille schon einige Frauen ermordet, um aus ihren Körpern die Parfümessenzen zu gewinnen, die seinem Leben Sinn und Schönheit geben. Am Schluß aber, bei seiner Exekution, kehrt das Faulige zurück, das Leben endet, wie es begann.
Einen Lebenslauf in Düften läßt Christina Comtesse durch die Klimaanlage der Volksbühne blasen, und der „Dritte Sinn“ des Publikums, der Geruchssinn, bekommt viel zu tun im gleichnamigen Stück nach Patrick Süskinds Roman „Das Parfüm“. Vor allem aber wird getanzt. Marcelo Omine ist Grenouille: ein Blaubart voller Unschuld, ein mörderischer Parsifal. Sein Gesicht ist rund und glatt wie das eines Kindes, mit vor Staunen weit offenen Augen tapst er durch die Welt der Gerüche. Glücklich ist er nur, wenn er sich unter seinen Parfümflaschen hindurchschlängeln kann, die Bühnenbildnerin Doris Kolde an langen Schnüren von der Decke baumeln läßt. Seine Opfer sind Staffage, böse Puppen: das kaugummikauende Mädchen, das doppelköpfige Kindweib, die Frau, die nur aus Beinen besteht, die Huren mit den bunten Perücken.
Mit Lust und lakonischem Humor läßt Regisseurin Christina Comtesse ein Panoptikum der Weiblichkeit aufmarschieren, das Grenouille auf die absurdesten Weisen umbringen wird. Comtesses Inszenierungsstil verleugnet nicht, daß sie (wie ihre TänzerInnen) aus der Kompanie Johann Kresniks stammt: das Erzählen einer Lebensgeschichte in einzelnen Stationen hat sie, wie auch viele choreographische Momente ihrer ersten abendfüllenden Produktion, dem Meister abgeschaut. Aber sie inszeniert entspannter, im guten Sinne oberflächlicher. Ohne Pathos, frei von theoretischem und analytischem Ballast erzählt sie eine Geschichte voller eigenartiger, grotesker Komik.
Nach der anderthalbstündigen Duftorgie ergeht es der Nase wie dem Auge sonst nach einem langen, bildermächtigen Abend: zunächst ist sie noch wie betäubt, produziert Phantomgerüche, findet sich nicht zurecht in der Wirklichkeit. Aber bald schon riecht Berlin wieder, wie es immer riecht: nach Döner und Hundedreck. Michael Mans
27./28.5., 20 Uhr, 3. Stock, Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz
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