■ Nachschlag: Ansichten junger Türkinnen: Filmisches Edutainment im Arsenal
Nachschlag
Ansichten junger Türkinnen: Filmisches Edutainment im Arsenal
Ausländer sind Inländer, wenn sie in Deutschland geboren sind oder hier dauerhaft leben. In Wirklichkeit sitzen sie meist zwischen zwei Stühlen und kämpfen mit sich und ihrer Umgebung um eine eigene Identität. Fünf junge Türkinnen, in Deutschland geboren, haben dieses Lebensgefühl und sich selbst in dem Film „Dikkat! Wir kommen!“ porträtiert, der am Dienstag im Arsenal gezeigt wurde. Konzeptionelle Unterstützung erhielten sie von der Ausländerbeauftragten von Schöneberg, Emine Demirbüken.
Im vollbesetzten Kino fand sich ein gut durchmischtes, deutsches und türkisches Publikum ein (keine türkischen Männer!) und als Talkgäste vier junge Türkinnen aus Berlin. Wie ein Videoclip zu deutsch-türkischer HipHop-Musik fühlt sich der Film stellenweise an, um wenig später die Frauen, von Kopf bis Fuß bedeckt, beim islamischen Gebetsritus zu begleiten. Nach dem Gebet stehen die Frauen vor dem Spiegel, um sich zu schminken. Als bekennende Musliminnen setzen sie nicht mehr Kopftuch mit Glauben gleich. Entwicklung und Individualismus gibt es auch in der türkischen Gemeinde. Anders als ihre Mütter, die nicht einmal Deutsch lernten, wollen die Töchter Karriere machen und haben auch sonst ihren eigenen Kopf, so wie Yurdagül, die Fußball liebt und Jogging, vor allem, wenn es regnet.
Vor dem Hintergrund von Mölln und Solingen scheint es für die Türkinnen im Film nur rassistische Deutsche zu geben. Eine Gegenabwehr wohl, wie es eine der Frauen bezeichnet. Leicht wird dadurch aber erneute Gegenabwehr produziert.
Ein solcher emotionaler Sprengsatz zündete im Kino Arsenal durch eine Bildmontage: Roman Herzog verspricht, alles daran zu setzen, der Präsident für alle Deutschen zu sein. Schnitt. Darauf die jungen Türkinnen, die sagen: „Wir leben hier, können aber nicht wählen.“ Yesim von der Jugendzeitung Kulagi Kesik (Schlitzohr): „Die doppelte Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht – das ist das Wichtigste zur Zeit.“ Manipulation, meinte ein Zuschauer, und löste eine hitzige Debatte in der sonst einmütigen Diskussionsrunde aus. Kanada und die USA, die größten Einwanderungsländer, fordern ganz eindeutig eine Entscheidung für ihr Land mit allen Konsequenzen, Wehrdienst, Steuern etc. Noch gibt es in Deutschland kein Einwanderungsgesetz, es wird aber höchste Zeit. Rebecca Hillauer
„Dikkat! Wir kommen!“ Deutschland 1994, 64 Minuten. Nähere Infos über Durchblick e.V., Tel. (089) 52 58 88, Fax (089) 523 47 42
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