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■ NachschlagBeziehungskitsch aus Istanbul – „Die Anatomie einer Frau“ im Eiszeit

Wer sich die Türkei als eine Art riesiges Kreuzberg vorstellt, der meint vermutlich auch, ein türkisches Beziehungsdrama müsse so aussehen wie Tevfik Basers preisgekröntes Gastarbeitermelodram „40 qm Deutschland“: Anatolischer Mann schließt seine Frau in ein Zimmer, um sie von der bösen Welt fernzuhalten.

„Die Anatomie einer Frau“ von Yavuz Özkan ist zumindest geeignet, solcherlei unterschwellige Erwartungen zu konterkarieren. Der Titel führt etwas in die Irre, denn dem Regisseur geht es weniger um den Körperbau seiner Protagonistin als darum, vor dem Zuschauer ihr Innenleben zu sezieren. Leider ist das auch schon das einzig Positive, was man über diesen Film sagen kann. Denn was die Beziehungsnöte einer modernen Frau der oberen Mittelschicht im heutigen Istanbul abbilden will, bietet wenig mehr als die Fotoromanästhetik klischeehafter Kamerabilder.

Hochzeit in Weiß und blaue Reise, mit dem Segelboot durchs Postkartenidyll der Ägäis, bilden den glücklichen Auftakt zu einer weniger glücklichen Ehe zwischen der leitenden Büroangestellten Sibel (Hülya Avsar) und ihrem Mann Metin (Mehmet Aslantug), deren uninteressante Existenzen sich zwischen Rotweintrinken und Softsexspielchen verlieren.

Als der ehrgeizige Metin einen Auftrag zum Ausbau einer Luxusdiskothek annimmt und, überfordert mit dieser Aufgabe, unter erheblichen Leistungsdruck gerät, bekommt er sich zwangsläufig mit seiner sich vernachlässigt fühlenden Angetrauten in die Haare. Im Verlauf der Auseinandersetzungen, die in einer hitzigen Debatte am Telefon gipfelt, geht nicht nur ein schwerer Glastisch krachend in die Brüche, nein, Metin überschlägt sich auf der erregten Rückfahrt nach Hause auch noch mit seinem Wagen und stirbt: ein herber Schicksalsschlag.

Nach angemessener Trauerzeit wird die von Schuldgefühlen geplagte Sibel jedoch von ihrer besten Freundin Meral angespornt, sich wieder dem Leben zu öffnen, worauf die attraktive Witwe einen alleinstehenden Komponisten ehelicht, der sich dann leider als arger Schlaffi erweist. Enttäuscht wendet sie sich zuletzt einem Bekannten ihres Bruders zu, der als Ingenieur an einer Autobahnbaustelle lebt, und mit ihm erlebt sie nun endlich jene Mischung aus Leidenschaft und Leid, die ihr bisher offenbar gefehlt hat. Womit sich die „Anatomie einer Frau“ letztlich als kitschiger Arabeskfilm-Abklatsch für ein intellektuelles Publikum entpuppt. Belanglos. Daniel Bax

Tgl. 17 Uhr und 19.15 Uhr im Eiszeit, Zeughofstraße 20, Kreuzberg

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