■ Nachschlag: Brechts „Brotladen“ im bat
Es kracht und donnert: rasende Tastenläufe, analog und digital, schütteln den Kopf frei, da fliegt mir doch der Brecht weg. Dabei ist erst Einlaß. Drei Musiker unter der Leitung von Toni Edelmann fahren in einer Nische oberhalb der Bühne mit grobem Geschütz auf. Später gibt's auch jede Menge Drum'n'Bass, Techno, Easy-Listening und, ja, eine Fülle von wunderbar kitschigen Songs. Meistens dann, wenn's denen unten auf der Bühne gerade nicht so gut geht. Denn wir wissen: Elend mit Rührseligkeit und weichen Harmonien ist ein Widerspruch, und ohne den läuft nichts beim hundertjährigen B.B.
Knapp fünfmal jünger dürften die finnischen Schauspielstudierenden aus Helsinki sein, die unter der Leitung von Manfred Karge mit fünf Regiestudenten des dritten Jahres der Ernst-Busch-Schule ein Fragment Brechts erarbeiteten. Meist auf finnisch, manchmal auf deutsch oder englisch beschwören sie den lehrstückhaften Text, als wär's die Speisekarte eines gigantischen Festmahls. Sieben Bilder, sechs Regiehandschriften (auch Karge legt Hand an) ziehen rasant vorüber und erzählen die Geschichte der betrogenen, obdachlosen Witwe Niobe Queck, die sich immerfort zu entscheiden hat: Zwischen Brot und Zuspruch, zwischen Solidarisierung mit den Arbeitslosen oder der Vereinnahmung durch die Heilsarmee, also: zwischen Erkennen und Verkennen. In Manfred Karges und Matthias Langhoffs Stückfassung von 1967 stirbt Witwe Queck in den Armen der Heilsarmee. Das radikalisiert die Arbeitslosen, man schreitet zum fulminanten Showdown im bat.
Ob Brecht thematisch dringlich ist, können auch Jubelschriften kaum klären, hier geht es einstweilen um die Kunst: Das Finnische funktioniert als quasi natürlicher V-Effekt, die Fabel wird zum Experimentierfeld für opulente Schauspieltechnik und präzise chorische Lösungen. Theater, als Fest betrachtet. „When I grow up / There will be the day / When everybody has to do what I say“, heißt es im Stück. Erwachsen sind die Darsteller schon jetzt. Tobi Müller
Bis 28. 11., 19.30 Uhr, bat-Studiotheater, Belforter Straße 15
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