■ Nachschlag: Musik und Savoir-vivre beim Festival „Wie es ihr gefällt“
Wozu Musikerinnenfestivals, wenn nicht als Herausforderung! Als „Wie es ihr geällt“ 1991 zum ersten Mal stattfand, war dies durchaus als Protest gegen den Ausschluß von Frauen im Musikbusineß gedacht. Aber das Geschlecht ist nicht Selbstzweck. Heute werden Künstlerinnen eingeladen, weil sie musikalische Risiken eingehen, ohne Zeitgeist und Ungeist der Zeit zu ignorieren. Am ersten Tag des Festivals in der Kulturbrauerei prallten urbane und archaische Extreme aufeinander. Die Formation „Rho“ wollte Industriegeräusche in harmonische Strukturen binden. Und während die Erinnerung an die abgelaufene Waschmaschine noch nachklang, saßen bereits die vier sardischen Sängerinnen mit und um Elena Ledda auf der Bühne und sangen traditionelle und religiöse Lieder. Die Übergänge zwischen Industrieort und Kirche sind fließend. Dagegen war Friday night Party night: Rock, Trashpunk, Drum 'n' Bass. Wenn Traurigkeit (etwa bei Fast FW aus Berlin) nicht zu Wut wird (wie eventuell bei Thee Ultra Bimboos aus Helsinki), dann hilft nur Tanzen. Dabei halfen „Les Zarmazones“ aus Paris, und das kam gut.
Mit elektronischen, rhythmischen oder sozialen Störungen wurde am nächsten Tag experimentiert. Laetitia Sonami hat sich einen Handschuh bauen lassen, der ihre Bewegungen digitalisiert und als Verzerrungen über vorproduzierte Sounds legt. Keine Performance ist von daher je gleich. Reproduzierbarkeit – ein Triumph der Computertechnologie, mit der sie arbeitet – wird in ihrer Musik unberechenbar. Direkter bringt das Hoahio-Duo aus Japan die Subversion auf den Punkt: Rhythmus, Krach, Schrei, Versöhnung und Melodie werden radikal vermischt. Eine Struktur ist nicht zu erkennen. Ein Wechselbad der Gefühle entsteht: Double-bind. Schizophrenie. Realität, die am letzten Tag des Festivals erneut harmonisch gebündelt wurde. Das einst Widerständige der tschechischen Gitarristin Dagmar Andriova wirkt heute eher sphärisch-ätherisch. Poetique/ Politique oder Les Elles sind dem französischen Chanson und Sprechgesang nahe, wobei die sozialen Issues durch perfekte Bühnenpräsenz und eine charmante Großzügigkeit zum Genuß werden. Musik ist Savoir-vivre, so „Wie es ihr gefällt“. Waltraud Schwab
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen