■ Nachschlag: Spiele mit Licht und Schatten, Singen und Sprechen in der Philharmonie
Lange Zeit war das Stück nicht gerade beliebt. Bei der Kritikergilde nicht und bei der Zuhörerschaft auch nicht: Schuberts Oper „Fierrabras“ entstand 1823 und wurde erst 1897 zum 100. Geburtstag des Komponisten aufgeführt, stark gekürzt und mit Balletteinlagen versehen. Vor allem das Libretto galt als verworren; dem Textbuch der „heroisch-romantischen Oper“ wurde nicht ganz zu Unrecht mangelnde literarische Qualität vorgeworfen. Das unfertige Material bedurfte eines klugen Gestalters, und daher ließ man die Finger davon. Claudio Abado schließlich holte den „Fierrabras“ aus der Versenkung, und sicherte sich 1988 zusammen mit Ruth Berghaus auf den Wiener Festwochen einen – wie sagt der Fußballkommentator doch so schön – Achtungserfolg. Nun hat sich Abado noch einmal mit dem bizarren Dreiakter beschäftigt.
„Fier-à-bras“ bedeutet „wild mit dem Arm“, der Titelheld von Schuberts Oper ist ein maurischer Rittersmann, ein furchtloser Schwertkämpfer. An der Seite des Frankenkönig Karl, der Fierrabras vom Christentum überzeugt hat, kämpft er gegen die Truppen seiner alten Heimat. Klassischer Fall: Orient gegen Okzident. Vor dem Abgrund des Krieges stehend, schließen die feindlichen Völker einen Friedensvertrag. Fierrabras verzichtet sogar auf die geliebte Emma, König Karls Tochter. Er ist der seltsam Andere, der Ausweg aus dem Bannkreis der Gewalt. Die Vaterländer sind gerettet.
Der bodenständige Heroenkitsch wird in der Philharmonie zum abstrakten Formenspiel. Das Theater ist nur angedeutet, die Franken tragen weiße Hemden, die Mauren treten im schwarzen Gewand auf. Während der Ouvertüre, der schönsten, weil Harmoniehighlights versagenden Passage des sonst von eingängiger Melodieführung geprägten Werkes, ist es finster im Scharounbau, weiße Lichtkegel setzen die konzertante Aufführung allmählich in Szene. Die Schwarzweißmalerei erhält eine Entsprechung im Stimmengeflecht: Chor und Solisten scheinen einen aussichtslosen Kampf auszutragen, die von Otto Sander und Angela Winter gesprochenen Dialoge zwischen den musikalischen Nummern und innerhalb der Melodramen vergrößern die Kluft, nur die Orchestermusik vermag den Konflikt aufzulösen. Das von Abado erhöhte Tempo hat der zuweilen schwerfälligen Oper gutgetan.
Das Berliner Publikum hat mit diesem „Fierrabras“ wenig anfangen können, man verließ vorzeitig die Plätze; wer blieb, spendete mäßigen Beifall. Die an diesem Abend zu leistende Hör- und Seharbeit entsprach wohl nicht dem Unterhaltungswunsch der anwesenden Philharmoniebesucher. Carsten Otte
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