■ Nachschlag: Der Intellektuelle als Hacker – Dirk Baecker in den Mosse-Lectures
Dirk Baecker Foto: Merve
Sirenen, Geschrei und Trillerpfeifen. Für ein paar Sekunden hatte die vorbeiziehende Studentendemonstration den nach einem Gerichtssaal aussehenden Senatssaal der Humboldt-Uni akustisch in Beschlag genommen. Mit Stürmung der Veranstaltung mußte gerechnet werden. Dann war das Getöse einfach vorbeigezogen. Ganz ähnlich beschrieb der Wittener Professor für Unternehmenskultur in seinem Vortrag die „Konjunktur des Intellektuellen“. Er taucht in der Antike als Priester auf, hat seine Zeit in der Moderne und verabschiedet sich in der Postmoderne als Hacker, dem es darum geht, Codes zu recodieren. Wo nichts mehr zu entziffern ist, bleibt nur noch das Interesse an den Konstruktionen.
In der Antike, so Baecker, kommt die Figur des Intellektuellen noch nicht vor. Seinen Job, die Nichtverfügbarkeit der Welt zu bereden, übernimmt der Priester. Dieser Typus ist keineswegs vollständig verschwunden und wird gegenwärtig von Bundespräsident Roman Herzog ausgefüllt. Seine Reden über Globalisierung sind als ein Verweis auf jene Nichtverfügbarkeit von Welt zu verstehen.
Der reinste Typ des Intellektuellen betritt in der Moderne die Bühne. Seinen aufklärerischen Blick auf die Dinge kommentiert er mit „Ah, wie interessant!“, das er mit der Frage verbindet: „Macht dich das eigentlich glücklich?“ Der Adressat des modernen Intellektuellen ist das prekäre Ich der Gesellschaft. Sein Geschäft ist die Selbstthematisierung. Auf Pufendorfs Feststellung, der Glückszustand des Menschen sei die Kultur, antwortete Rousseau: Nein, die Natur. Seither sind unglücklicherweise beide Antworten möglich und bringen mitunter zynische Varianten hervor.
Den postmodernen Typus sieht Baecker schließlich im Hacker verkörpert, der keinen neuen Code mehr erzeugen will, sondern nur noch danach trachtet, andere zu knacken. Dirk Baeckers Vortrag kann als kühle Untermalung zu Reden von Grass und anderen gelesen werden. Alle Vorgestellten kommen vor, keinem gibt er den Vorrang. Der letzte Satz von Baeckers Ausführung lautete: Keiner hat das letzte Wort. Harry Nutt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen