■ Nachschlag: Nur Chiapas? – Volker Braun über Peter Weiss in der Schaubühne
Ein Holztisch, ein Stuhl, ein Stehpult auf einer schwarzen, leeren Bühne: Ein bißchen Geistes-Sparta, ein bißchen Ikea-Toskana, vor allem aber eine seltsame Ortlosigkeit. Das paßte gut zum Vortrag von Volker Braun, der „Einen Ort für Peter Weiss“ finden wollte – und damit für sich selbst. Es war der zehnte und letzte Abend in der Reihe „Die einen über die anderen“, in der ostdeutsche über westdeutsche Dichter sprachen und umgekehrt.
In seinem Text „Haltung dem Engagement gegenüber“ beschrieb Weiss seinen früheren „schlafwandlerischen Zustand“ im gesellschaftlichen Abseits. „Ich konnte keine Ideologie erkennen, die das Opfer meines Lebens wert war.“ Es dauerte lange, bis er begriff, daß es in einer Zeit von Faschismus, Zerstörung, Massenvernichtung kein „Außerhalb“ geben kann, keinen unschuldigen Ort der Kunst, und so schrieb er 1965 „mein Engagement für Kunst war zugleich ein Engagement für Zerstörung“ und erklärte: „Die Richtlinien des Sozialismus enthalten für mich die gültige Wahrheit.“
Volker Braun las es damals im Neuen Deutschland und wunderte sich. Weiss sah ja, wie es um den Realsoz bestellt war, der, so Braun, „nichts bewies und andere Perspektiven verstellte“. Doch Weiss hatte seine Entscheidung vor dem Hintergrund der faschistischen Erfahrung getroffen. „Meine Ortschaft“ hieß ein Text über einen Besuch in der Gedenkstätte Auschwitz – als sei Weiss da erst klar geworden, daß er, als Sohn eines Juden und einer Tschechin, eigentlich für diesen Ort bestimmt gewesen wäre. Damals aber, im schwedischen Exil, war er so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß er „nicht einmal wußte, daß ich zu dieser Rasse gehörte“. Seine späte Entschiedenheit war auch ein Stück Wiedergutmachung.
Welchen Ort würde Weiss heute wählen, fragte Braun, wo zwar viel vom „Standort Deutschland“ die Rede sei, die Literatur aber keinen Standpunkt habe? Aus Brauns Worten klang die Enttäuschung heraus über den Verlauf der Geschichte. „Mein Ort“, sagte er, „ist versunken, planiert, privatisiert, zerklüftet und weichgezeichnet von den Medien.“ Spielerisch erprobte Braun indes neue Begriffe: Demokratischer Kapitalismus. Demokratie des Konsums. Denkmöglichkeiten. Das ist die Stärke des alten, listigen Dialektikers, daß er noch jeden Begriff aus der Fassung bringt. Um so enttäuschender, daß er als Ort, dessen Peter Weiss sich heute nicht schämen müßte, nur auf Chiapas kam, auf die Wiederbelebung Lateinamerikas als Imaginationspunkt revolutionärer Sehnsüchte, wo die „Antreiber mit ihren schwarzen Masken“ sich dem globalen Zugriff des Kapitals entziehen. Aber ist die Lehre, die man ziehen kann, wenn man sich durch die drei Bände der „Ästhetik des Widerstands“ gekämpft hat, nicht eine ganz andere? Daß man sich nämlich da einmischen muß, wo man ist, also in diesem „großen verdauenden, schläfrigen Körper“, als der Westdeutschland Volker Braun erscheint? Am besten gleich mitten in den „demokratischen Rabatten“, gleich neben den festen Banken. Jörg Magenau
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