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■ Nachschlag„Mein Essen mit Victor“: Theater Tiefenenttrümmerung II mit Texten von Überlebenden des Holocaust

Lesen hilft. Wo die öffentliche Debatte über Formen des Gedenkens der Vernichtung der Juden in Ritualen erstarrt und über der Profilierung der Denkmalsetzer ihren Inhalt aus den Augen verliert, da öffnet die Lektüre von Erinnerungen Überlebender einen Weg zur unmittelbaren Auseinandersetzung. Denn die Texte beschreiben nicht nur die mörderischen Bedingungen des Lagerlebens mit ihren unauflösbaren moralischen Konflikten, sondern sie handeln beinahe immer auch von dem Weg, den die Erinnerung zurückgelegt hat. Diese Reflexion über den Umgang mit dem Holocaust bis heute hat die Literatur jeder Denkmalsetzung voraus.

Deshalb ist das Projekt von Ingrid Hammer, Regisseurin des Theaters Tiefenenttrümmerung II, vielversprechend: Sie will den „Rahmen des betretenen Schweigens, von Verdrängung und falscher Ehrfurcht“ sprengen durch ein Stück mit Texten von Ruth Klüger, Imre Kertész, Elie Wiesel und anderen Autoren, die nicht zuletzt in der reflektierenden Arbeit der Sprache ein Mittel des Aushaltens ihrer Geschichte gefunden haben. Tiefenenttrümmerung II ist die Fortführung eines Projektes, das Ingrid Hammer bis 1995 mit Peggy Lukac betrieben hatte und dessen Programm es war, dokumentarische Texte aus dem Zweiten Weltkrieg aufzuführen.

Im brüchigen Ambiente des großen Saals der Sophiensaele sitzt man an kleinen Tischen um ein hellerleuchtetes Viereck: Es bleibt leer, Chiffre des nicht Darstellbaren. An seinem Rand, im Halbschatten, bewegen sich Schauspieler und Musiker, wählen die Erzählungen des Abends aus ihren Blättern aus, die auf Notenpulten bereitstehen. Während die Worte sich immer tiefer in die Gedanken der Überlebenden schrauben, von der Gegenwart aus hinabarbeiten, schafft die populäre Melodien der Nazizeit zersägende und verformende Musik Distanz.

Ach, bliebe es doch bei einer Lesung! Doch durch das psychologisierende Spiel, mit dem die Darsteller in die Erzähler hineinzuschlüpfen versuchen, erhält die Inszenierung einen Beigeschmack von anmaßender Identifikation und bemühtem Laientheater. Besonders der aufgesetzt muntere Plauderton, mit dem sich Dorothea Gädecke Passagen aus Ruth Klügers „weiter leben“ zu eigen macht, verharmlost den Text. Denn die Autorin beschäftigt sich gerade mit Problemen der Selbstzensur, dem Ausschluß ihrer Erfahrungen aus dem, wo sich Gespräche bei Abendessen oder Diskussionen mit Freunden bewegen. So verspielt die inszenierte Lebendigkeit wieder etwas von der Kraft und klaren Erkenntnis der Texte; doch wer weiterlesen will, dem bietet ein Büchertisch im Foyer Gelegenheit. Katrin Bettina Müller

„Mein Essen mit Victor“, mit Dorothea Gädecke, Sigurd Bemme und Joachim Konrad, bis 1. März, Mi.–So. 20 Uhr, Theater Tiefenenttrümmerung II in den Sophiensaelen, Sophienstraße 18

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