piwik no script img

■ NachschlagReinszenierung des oralen Sounds: Feridun Zaimoglu las im HKW

Sitzt der Vertreter einer sogenannten Minderheitenliteratur auf dem Podium eines Kulturhauses, um seine Texte vorzustellen, ist im Anschluß an die Lesung selten die Rede von Metaphern und Metonymien, von Rhetorik und Rhythmus. Statt um literarische Qualitäten geht es im Publikumsgespräch um politische Verhältnisse und oft auch um das, was man so gerne Lebenswelten heißt. Daß die Verweigerung einer literaturbezogenen Diskussion eine Festlegung, eine Zuschreibung bedeutet, ja daß sie vielleicht gar die beklagte Diskriminierung fortsetzt, gerät dabei leicht in Vergessenheit.

Nachdem der deutsch-türkische Autor Feridun Zaimoglu am Sonntag im Haus der Kulturen der Welt gelesen hatte, kreiste das Gespräch vor allem um die schwierige Situation der Migranten in diesem Land. Solange Politiker wie Innensenator Schönbohm nach einer deutschen „Leitkultur“ krähen, hat das eine traurige Berechtigung: Diskussionsforen sind selten, und die Wut über die vorenthaltene Partizipation nimmt zu. Zaimoglu selbst sucht nach einer „Ästhetik mit knallhartem politischem Anspruch“, so daß es kaum erstaunt, wenn die Intention in den Mittelpunkt und die Schreibweise an den Rand rückt.

Bedauerlich ist das allemal. Denn was der 34jährige Kieler in „Abschaum“ und „Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“ – beide bei Rotbuch verlegt – unternimmt, ist nicht nur ein Beitrag zur Kreolisierung der deutschen Sprache, ist nicht nur die Überführung mündlicher Rede in schriftlichen Text unter Reinszenierung des oralen Sounds, es ist auch ein barockes Sprachfest, das Wendungen und Wörter gegen den Strich bürstet und ihnen dabei wie zufällig auf den Grund geht. Da ist die Rede von „der irren abteilung“, von der „mehrzahlstube“, vom „liberalpissetrinker“, von der „weibhärte“ oder vom „assimilkümmel“; da weben sich Zitate und Anspielungen zu einem dichten Netz fremder Reden; da sucht sich der Zorn ein Zeichen im Stakkato der Wiederholung: „unser schweiß ist nigger, unser leben ist nigger, die goldketten sind nigger“.

Hierfür bemüht Zaimoglu die Techniken der Zeugnisliteratur. Er unterhält sich mit denen, die „nicht zu Wort gekommen“ sind: mit den „Brüdern und Schwestern der zweiten und dritten Generation“. Deren Erzählungen gibt er in Protokollen wieder. Im Vorwort zu „Kanak Sprak“ spricht er von Authentizität, wobei er das heikle Wörtchen vorsichtshalber in Anführungszeichen setzt. Dennoch wird man den Eindruck nicht los, es gehe ihm um das wirkliche Leben, um Schweiß und Schmutz, um Würde und Schönheit der Deklassierten. Dazu stellte im Haus der Kulturen der Welt niemand Fragen, obwohl es doch Stoff für zehn Diskussionen böte. Vielleicht müssen Leute wie Schönbohm verstummen, damit sich über Themen wie Authentizitätsinszenierung streiten läßt. Cristina Nord

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen