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NachrufDie Macht des Leisen

Der Schauspieler Ulrich Mühe erlag seinem Krebsleiden. In Erinnerung bleibt so viel mehr als sein reuiger Stasi-Hauptmann in "Das Leben der Anderen".

Ulrich Mühe in der Rolle des skrupellosen KZ-Arztes Mengele im dem Kinofilm "Der Stellvertreter" Bild: concorde/dpa

Als Florian Henckel von Donnersmarck Ende Februar in Los Angeles für "Das Leben der Anderen" den Oscar entgegennehmen konnte, gehörte auch sein Hauptdarsteller Ulrich Mühe zur kleinen Reisegruppe. Im Schatten des Zwei-Meter-Manns wirkte der Schauspieler ein wenig wie der arme Vetter aus dem Osten, der nun auch einmal zum großen Festbankett zugelassen wird. Und tatsächlich schien es fast auch so, als wäre er bis hin zur amerikanischen Westküste einem Fluchtimpuls gefolgt, der ihn einst aus der Geburtsstadt Grimma in Sachsen hatte aufbrechen lassen - um dann eben doch nur am Katzentisch Platz zu finden.

In einem Interview sprach Mühe davon, dass er gern vier, fünf Jahre in Hollywood arbeiten würde. Diese Sehnsucht wurde ihm nicht mehr erfüllt. Erstaunlich wenig Zeit verging zwischen dem nationalen und internationalen Triumph, der vom Erfolg von "Das Leben der Anderen" ausgelöst wurde, den damit einhergehenden, unschönen Querelen um die mutmaßliche Stasi-Mitarbeit seiner zweiten Frau Jenny Gröllmann, den Nachrichten von der Erkrankung Mühes und der gestrigen Todesmeldung. Der Umstand, dass Mühe im kollektiven Gedächtnis haften bleiben wird, weil er in "Das Leben der Anderen" den MfS-Hauptmann Gerd Wiesler spielte, verstärkt die Trauer um seinen Tod. Denn der zweifelhaften Rolle als rettender Stasi-Engel in einem überschätzten Film vermochte er keine Korrektur mehr entgegenzusetzen. Dabei konnte er auf ein weitaus differenziertes Lebenswerk zurückblicken, als dies seine letzten Besetzungen glauben machten.

Am 20. Juni 1953 geboren, lernte er zunächst Bauarbeiter, studierte ab 1975 Schauspiel in Leipzig. 1979 ging er ans Theater nach Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), das schon vorher wie auch danach als Durchlauferhitzer für große Talente (von Michael Gwisdek über Christian Grashoff bis Frank Castorf) galt. 1982 entdeckte ihn dort Heiner Müller, holte ihn an die Berliner Volksbühne, ab 1983 gehörte er zum festen Ensemble des Deutschen Theaters. Mit Müller erarbeitete er wichtige Bühnenrollen; die wichtigste blieb wohl die Hauptrolle in "Hamlet/ -Maschine" - jener achtstündigen Inszenierung Müllers, in die im Herbst 1989 immer wieder die Realität einbrach, die den rasanten Veränderungen vor den Toren des Theaters kaum mehr nachzukommen vermochte.

Mit Heiner Müller stand Ulrich Mühe auch am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz - der Schauspieler hatte die finale Großdemonstration vor dem Zusammenbruch der DDR maßgeblich mitorganisiert. Seine späteren Rollen in der Erzählung deutscher Geschichte schien er mit diesem politischen Enaggement vorab zu beglaubigen. Dass er nur spielte, weil das sein Beruf war, nahm man ihm nicht ab. Der ostdeutschen Bevölkerung war er aus Kino und Fernsehen wohlbekannt, mit Jenny Gröllmann verkörperte er für ein paar Jahre lang so etwas wie ein DEFA-Traumpaar. Bevor die beiden 1984 in Herrmann Zschoches "Die Hälfte des Lebens" den Friedrich Hölderlin und die Suzette Gontard spielten, war Mühe in Spielfilmen wie "Die Frau und der Fremde" von Rainer Simon oder in "Olle Henry" von Ulrich Weiß (1983) zu sehen gewesen. Später kamen Rollen für die DDR-Krimiserie "Polizeiruf 110" hinzu.

Nach dem Umbruch des Jahres 1989 spielte Ulrich Mühe in Berlin, Hamburg, Wien und Salzburg Theater, blieb aber auch in Film- und Fernsehbesetzungen präsent. Bereits vor dem Ende der DDR hatte er in Bernhard Wickis Joseph-Roth-Verfilmung "Das Spinnennetz" (1986) als wendiger Opportunist Lohse eine Hauptrolle gespielt. Wicki besetzte ihn auch ein Jahr später in seinem letzten Film "Sansibar oder Der letzte Grund".

Einem breiteren Filmkunst-Publikum wurde Ulrich Mühe jedoch vor allem durch die Zusammenarbeit mit dem Österreicher Michael Haneke bekannt. Mit ihm realisierte er die abgründigen Gewaltstudien "Bennys Video" (1992) und "Funny Games" (1997), jeweils mit der Schauspielerin Susanne Lothar als Partnerin, mit der er bis zu seinem Tod auch zusammenlebte.

Mit Lothar spielte er auch in Hanekes Kafka-Verfilmung "Das Schloss" (1996). Die Rolle des Landvermessers K., der sich in einem undurchdringlichen Netz von Machtzusammenhängen verstrickt und zum Auslöser einer fatalen Folge von Katastrophen wird, schien ihm auf den Leib geschrieben. Eine positive Umwertung des "kleinen Mannes" in Konfrontation mit einer übergroßen Macht hatte er schon ein Jahr vorher in Frank Beyers Fernsehadaption von Erich Loests Leipzig-Roman "Nikolaikirche" gespielt: Als scheinbar unbedeutender Pfarrer trotzte er im Film der Willkür und machte die Kraft der Schwachen glaubhaft. Es sind leise, aber nachdrückliche Rollen wie diese, die Ulrich Mühe in Erinnerung bleiben lassen werden.

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