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NachrufAbschied eines Grandseigneurs

■ Zum Tod von Stéphane Grappelli, der französischen Jazzlegende

Für Yehudi Menuhin, mit dem er mehrere Platten einspielte, hatte Stéphane Grappelli das Ziel eines jeden Geigers erreicht: „Phantasie, perfekte Technik und spontaner Gefühlsausdruck.“ Unzählige Aufnahmen mit den bedeutendsten Vertretern des Jazz prägten seine Karriere ebenso, wie ihn der Mythos des Quintetts des Hot Club de France verfolgte.

Bis zu seinem Schlaganfall Anfang des Jahres stand Stéphane Grappelli unermüdlich auf der Bühne. Einer seiner letzten Auftritte fand anläßlich des Berliner JazzFestes im November 96 statt. Auf sein legendäres Quintett mit Django Reinhardt angesprochen, erinnerte sich Grappelli nicht gern. Mit dem Hinweis, daß „das alles“ ja schon so lange zurückliege, wischte er die Frage fort – ging es beim Hot Club in den Dreißigern doch nicht nur um seinen Einstieg in den Jazz, sondern seitdem auch um ein Etikett für Journalisten.

Dafür lebte Grappelli auch in seinen Achtzigern noch zu sehr in der GegenwartEr sprach lieber über jüngste Projekte: sein Duoalbum mit Michel Petrucciani und die Live-Aufnahme von seinem Gastspiel im New Yorker Blue- Note-Club 1995. Aber dann erzählte er doch, daß er eigentlich mit Steptanz angefangen hatte – damals, als Dreijähriger! Das war bei Isadora Duncan.

In den einschlägigen Jazzlexika verschieben sich die Erinnerungen ein wenig nach hinten. Fest steht, daß Stéphane Grappelli am 26. Januar 1908 in Paris geboren wurde und im Waisenhaus aufwuchs. Er brachte sich selbst Klavier und Geige bei und verdiente sich das Nötigste als Begleiter von Stummfilmen und als Hinterhofgeiger. Zum Jazz kam er durch Schallplatten. Bix Beiderbecke, Louis Armstrong und vor allem Art Tatum. „Mein Gott ist Art Tatum. Mein größtes Ziel ist es, der Art Tatum der Violine zu werden. Damals gab es keine Jazzclubs oder Jam Sessions. Ich saß zu Hause und spielte die Platten von Art Tatum nach. Und da mir klar war, daß Art Tatum unerreicht bleiben würde, ließ ich das Klavier sein und konzentrierte mich auf die Geige.“

1934 begann das, was heute Legende ist. Stéphane Grappelli gründete mit Django Reinhardt das Quintett des Hot Club de France. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs löste sich die Band auf, und Grappelli verbrachte die nächsten sieben Jahre in London, spielte in Clubs und Hotels und traf dort auch auf George Shearing. Erst als Frankreich nicht mehr unter deutscher Besatzung stand, kehrte Grappelli nach Paris zurück. Er trat im Club St. Germain auf und spielte mit Dexter Gordon und Bud Powell. Es folgten Plattenaufnahmen mit Duke Ellington und Count Basie.

Mit zunehmendem Alter wurde es Grappelli, der lebenden Legende, immer wichtiger, mit jungen Musikern zu spielen. „Es war die Inspiration, aber auch das Weitergeben eines musikalischen Erbes.“ Das ist durchaus auch wörtlich zu verstehen. Ende der zwanziger Jahre leitete der Jazzgeiger Michel Warlop das Orchester, in dem Django Reinhardt und Stéphane Grappelli spielten. Als Warlop erklärte, daß Grappelli der Bessere und Begabtere sei, schenkte er ihm seine Geige und begründete damit eine Tradition: Jeweils der vielversprechendste französische Jazzgeiger erhält die Warlop-Violine. Grappelli gab sie weiter an Jean-Luc Ponty und dieser an Didier Lockwood.

Am 1. Dezember starb Stéphane Grappelli kurz vor seinem neunzigsten Geburtstag in Paris an den Folgen einer Leistenbruchoperation. Maxi Sickert

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