Nachruf auf Woolworth: Immer freundlich sein
Sechs Jahre als Kassiererin bei Woolworth - fünf Lektionen fürs Leben. Ein Erfahrungsbericht.
Fünf, nein sechs Jahre an der Kasse bei Woolworth. Ich war Studentin, Woolworth zahlte für Berliner Verhältnisse gut; flugs hatte ich mich von der Einräumerin des Süßigkeitenregals nach oben gearbeitet. Aber vor allem habe ich Mittelschichtskind bei Woolworth Lebenserfahrungen gemacht.
Lektion Nummer eins: Immer freundlich sein. Gar nicht wegen des verlässlich schmierigen Chefs in Bundfaltenhose, der vor lauter Langeweile gerne um Studentinnen rumlungert. Entscheidend war vielmehr die Gruppendynamik.
Die Stimmung in der Schlange ist ein fragiles Ding. Mault man auch nur eine Person an, setzt der Dominoeffekt ein: Sofort finden mindestens ein Dutzend Kunden, die Frau an der Kasse sei zu langsam, zu studentisch, sehe irgendwie doof aus.
Wenn das passiert ist, hilft nur noch die innere Emigration und kurz zu sondieren, welche Person so weit hinten in der Schlange steht, dass sie von dem ganzen Unbill nichts mitbekommen hat. Bei ihr kann man dann wieder mit Freundlichkeit beginnen.
Lektion Nummer zwei: Wenn die Stimmung gut ist, schlägt einem eine ungeheuere Freundlichkeit entgegen. Ein kleines Trinkgeld ist Ehrensache. Dabei kaufen hier bekanntlich nicht die Reichen und Schönen ein. Und die Enttäuschung ist groß, wenn man gar nicht so begeistert ist, weil es offiziell verboten ist, die Centstücke anzunehmen.
Lektion Nummer drei: Bei Woolworth sind die Kolleginnen reizend, Frauensolidarität ist eine Selbstverständlichkeit. Über Milieuunterschiede hinweg wurde ich sofort adoptiert. Schließlich waren viele Ehemänner arbeitslos, die Frauen daher heilfroh, den Tag außerhalb ihrer Wohnung verbringen zu können, der zumeist männliche Chef der Woolworth-Filiale war der natürlich Feind. Die Witze über ihn waren entsprechend sehr lustig. Wobei die klare Abgrenzung Schäkereien nicht ausschließt.
Lektion Nummer vier: Frauen kaufen bei Woolworth alles, Männer vor allem Socken, Oberhemden, Rasierzeug, Spielsachen und Reizunterwäsche für ihre Frauen. Im Falle des Erwerbs von Erotikunterstützung steht sie dann zumeist leise lächelnd hinter ihm, während er die Ware aufs Band legt und weltmännisch das Portemonnaie zückt. In der Regel handelt es sich um beinharte Plastikspitze in Rot und Schwarz, Leuchtfarben sind auch möglich. Das Zeug muss höllisch wehtun.
Lektion Nummer fünf: Die Welt ist schlecht geworden. Zu meiner Zeit war es normal, wenn des Abends nach Kassensturz 7 Euro fehlten oder 2,43 zu viel drin waren. Niemand hat sich daran gestört. Aber wurde ausnahmsweise perfekt kassiert, war das Lob groß. Inzwischen, so haben wir gelernt, kann eine Differenz von 1,30 den Job kosten.
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