Nachruf auf Whitney Houston: Ein Auf und Ab über drei Oktaven
Mit ihren schier endlosen Tremoli sang sich Whitney Houston an die Spitzen der Charts. Ihre softer Soul traf den Geschmack der 80er und frühen 90er Jahre.
BERLIN taz | "I will always love you" hat "Anthem-Status", es ist eine Hymne. Und als solche wurde sie von der Plattenfirma Arista nach der Erstveröffentlichung 1992 auch vermarktet: ein schwülstiges, äußerst eindringliches Liebeslied. Ein Lied, an dem die Sängerin in ihrer gesamten Karriere gemessen werden würde.
Eindringlich in seiner getragenen balladesken Form, eindringlich vor allem in der selbstzerstörerischen Botschaft: Eine Liebesgeschichte ist zu Ende, aber die Vortragende will davon einfach nicht ablassen. Ja, kündigt sie an, ihrem Mann sogar lebenslang treu bleiben zu wollen, trotz "bittersüßer Erinnerungen".
Eindringlich ist "I will always love you" auch im epischen Vortrag. Whitney Houstons Stimme umfasste drei Oktaven. Sie konnte tremolieren, die Silben ins Endlose dehnen, damit schier unfassbaren Nachdruck erzeugen. "The Voice" wie ihre Stimme respektvoll bezeichnet wurde: Nur durch sie brachte Houston "I will always love you" ganz nach vorne in die Charts.
Bis heute wird der bekenntnishafte Song stark nachgefragt. Ein Evergreen, Millionen Hörer auf der ganzen Welt sind mit ihm vertraut. Viele verbinden besondere Erinnerungen mit ihm. Der Rest erkennt ihn zumindest sofort beim Wiederhören. Und er gehört nach wie vor zur Heavy Rotation im Hitradio. Ein seltsames Allheilmittel gegen Liebeskummer.
Schwarze Mittelklasse
Whitney Houston stammte aus der schwarzen Mittelklasse. Sie wuchs in einer behüteten Musikerfamilie in Newark/New Jersey auf. Sie war sehr hübsch, modelte, bevor sie als Sängerin arbeitete. Bereits ihre Mutter war Gospelsängerin, ihre Patentante ist Aretha Franklin, Dionne Warwick ist ihre Cousine, selbst ein Weltstar, der etwa Songs von Burt Bacharach interpretierte. Whitney übte ihr gesangliches Talent zunächst im Background bei Stars wie Chaka Khan. Das war harte Arbeit im Studio und auf der Bühne, mit der Spiritualität von Gospel hatte das kaum mehr zu tun. Houstons Karriereweg durch das Musikbusiness schien vorgezeichnet.
Im Mainstream der 80er Jahre allerdings bedeutete dies etwas grundlegend anderes als noch die emanzipativen Bekundungen der Soulsänger zehn Jahre vorher. Während die Soulsänger den Wunsch nach gesellschaftlichen Veränderungen ganz oben auf ihre Tagesordnung gesetzt hatten und dies mit enormer künstlerischer Kreativität umsetzten, sagten die 80er etwas anderes: Schönheitsoperationen und blaue Kontaktlinsen statt "Black is Beautiful" und natürliche Schönheit.
Überdosis Sweetness
Überzuckert war auch der Sound, den sich Whitney Houston für ihre ersten Alben maßschneidern ließ, opulente Streicherarrangements, synthetische Drums. Der ganze Horror von "Midi"-Equipment und 36-Kanal-Studioexzessen. Auch textlich war sie damals dem Nouveau-riche-Wohlstand der Weißen näher als den entbehrungsreichen Erfahrungen der innerstädtischen Gettobewohner.
Von Anfang an wurde Houston jenseits der Colourline als Popstar vermarktet. "Ohne Verschwitztheit", wie Newsweek einmal verächtlich schrieb, die man bei authentischen schwarzen Popsängern offenbar voraussetzte. Selbst in der Black Community wurde Houstons Karriere zwiespältig aufgenommen. Der afroamerikanische Autor Nelson George schrieb über Houston als "transformierte Schwarze". Ihre Musik sei "farbenblind". Sie eifere "einem angelsächsischen Lebensstil nach" und glaube, dass man "alles der Anhäufung von Kapital opfern" dürfe, eine, so George, "zweifelhafte Errungenschaft der Assimilation".
Allerdings mit Erfolg: Schon Whitney Houstons Debütalbum von 1985 verkaufte sich 15 Millionen Mal. Bis heute hat sie die astronomische Summe von insgesamt 170 Millionen Einheiten verkauft. Eine Zahl, die selbst andere Superstars nur durch Multi-Promotion, strengstes Welttournee-Reglement und virales Marketing auf allen Kanälen rund um die Uhr erreichen dürften.
Eintritt in den Olymp
Houston stammt aus einer Zeit, als das Musikfernsehen die Zukunft von Pop markierte. Als das Auftauchen in einem Hollywood-Soundtrack den Eintritt in den Olymp bedeutete. Als selbst die Paparazzi noch wie Knipser aus dem Streichelzoo wirkten.
Nur war der Alltag in den USA der 80er Jahre kein Streichelzoo. Die ökonomische Ungleichheit drückte sich in der erstarkten HipHop-Bewegung aus. Rapper, die glaubhaft über die Armut rappten, die Aufnahmetechnik gegen die Gebrauchsanweisung benutzten und die Wege in die Gewalt, den Zustand des Verfalls, der die Gettos wie einen tödlichen Virus befallen hatte, zum Thema machten.
Wahrscheinlich muss man diese ökonomische Ungleichheit gerade auch in der Tragik von Whitney Houstons späterer Karriere genauer untersuchen. Das ewige Verlangen nach mehr "Authentizität". Die Horror-Ehe mit dem minderbegabten Rapper Bobby Brown, seine Gewaltexzesse, der Weg in die Drogen, die Entziehungskuren, die Magersucht. Das Scheitern, an dem auch keine posthume Grammy-Verleihung, keine ungebrochene Beliebtheit mehr etwas ändern werden können. In Wahrheit war "I will always love you" der Anfang vom Ende.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld