Nachruf auf Lothar Späth: Ein untypischer Konservativer
Lothar Späth (CDU) wollte einst Helmut Kohl stürzen. Als Ministerpräsident stolperte er über die „Traumschiff-Affäre“. Am Freitag ist er gestorben.
Diese warmen Worte hätten Lothar Späth gefreut. Einen „Visionär im besten Sinne“ nannte Winfried Kretschmann den Vorgänger am Freitag bei der Nachricht von dessen Tod. 1980 hatten die ersten Grünen im baden-württembergischen Landtag dem schwarzen Ministerpräsidenten den berühmt gewordenen Kaktus überreicht. Und Späth wäre nicht Späth gewesen, hätte er sich nicht mit der Idee revanchiert, die Neulinge nach spätestens zwei Legislaturperioden wieder aus dem Parlament zu vertreiben – mit einer grünen CDU-Politik wollte er sie zu einer Fußnote in der Landesgeschichte machen. Daraus ist, wie der jüngste Wahlsonntag zeigte, nichts geworden.
Schon längere Zeit lebte der 1937 geborene Sigmaringer in einem Pflegeheim. Bei seinen letzten öffentlichen Auftritten war nahezu nichts geblieben von dem immer quirligen, schnellen, zu jedem Überraschungscoup bereiten einstmaligen CDU-Überflieger, der 1989 beim Bremer Parteitag sogar Helmut Kohl stürzen wollte. Was gründlich misslang. Vom „Möchtegernkanzler ohne Mumm und Mannen“ war danach die Rede. Da hatte der Abstieg längst begonnen.
Denn Späth hatte – ohne nur das kleinste Problem darin zu sehen – ein Netzwerk von Freunden gesponnen, die ihm nicht nur Dienstreisen, sondern auch teure Urlaube finanzierten. Im Zuge eines Steuerhinterziehungsverfahrens gegen einen seiner reichen Gönner flog die „Traumschiff-Affäre“ auf.
Tatsache ist: Weniger die schönen Segeltörns haben Späth 1991, nach 13 Jahren Sturm und Drang in Stuttgart, den Job in der Villa Reitzenstein gekostet; es war eher der fatale Satz eines deutschen Direktors eines asiatischen Spitzenhotels, abgedruckt im Spiegel am Montag vor dem Rücktritt. „Der hohe Gast hielt sich die meiste Zeit in seinen Räumlichkeiten auf und ließ sich verwöhnen“, war da zu lesen. Und dass der Insider bereit sei, weiteres Wissen zu verbreiten.
Späth nahm sofort den Hut, nicht zuletzt seiner Frau und der beiden Kinder wegen. Aber weil er nicht zimperlich war in der Wahl seiner Mittel, bastelte er binnen Kurzem eine Verteidigungsstrategie und stellte sich als Opfer von Medienvertretern dar, die doch immer bei seinen Dienstreisen dabei gewesen seien. Das war falsch, aber sein Ruf blieb intakt.
Tüchtig, fleißig, immer optimistisch und tatendurstig, neugierig, dazu begabt mit Witz und einer nimmermüden „Schwertgosch“: Der Tatmensch besaß eine Fülle von Talenten, die ihm zu einer Blitzkarriere verhalfen, von der ein Lehrling im Rathaus eines Kaffs bei Heilbronn schwerlich hätte träumen dürfen. Dort hatte er nach eigenem Bekunden zweierlei begriffen fürs Leben: Wie schön es ist, Probleme zu lösen, und wie hilfreich dabei Pragmatismus ist. Zu den erwähnten Begabungen kamen Intelligenz, rasche Auffassungsgabe und der Ehrgeiz, es anderen und zumal Akademikern zu zeigen.
Fünf Jahre nach seinem Eintritt in die CDU war er schon ihr Fraktionschef im Stuttgarter Landtag, nach weiteren sechs Jahren Regierungschef. Die große, weite Welt hatte es ihm angetan, die Wirtschaft und ihre Verzahnung mit Wissenschaft, die Kultur vergaß er auch nicht. Späth war einer, der genießen konnte und wollte: die Macht, den Umgang mit anderen Mächtigen, das gute Leben und die Zuneigung seiner Baden-Württemberger, die ihn mit stattlichen Wahlsiegen bedachten.
Nach der Politik kam die Wirtschaft, der Chefsessel bei Jenoptik in Jena. Die Rolle des Sanierers in einem der wenigen ostdeutschen Vorzeigebetriebe war ihm auf den Leib geschneidert: Zwar mussten 15.000 Arbeitsplätze abgebaut werden, aber mit Mut, Chuzpe und enormen staatlichen Hilfsgeldern meisterte er diese Aufgabe.
Das Ärmelaufkrempeln war ihm zur zweiten Natur geworden, zur Weltanschauung, das Alte und Bekannte war für den untypischen Konservativen mit dem Mitgliedsbuch der IG BAU eher lästig: „Mir war das alles zu eng, deshalb bin ich in der ganzen Welt herumgerannt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz