■ Nachruf auf Julius Posener: Nicht ganz harmlos
Er war klein, aber er war riesig. Wenn Julius Posener über Architektur sprach, wuchs er über sich hinaus. Der alte, runde Kopf hob sich vom Körper. Mit den Händen zeichnete er ausladend große Bewegungen nach, als wolle er die ganze Bauwelt fassen. Zur Verlängerung der Arme diente dem Meister oft ein langer Stock, der wild auf der Leinwand herumtanzte. Das war keine Selbstdarstellung, sie diente nur einem: Architektur sinnlich, erlebbar, faßbar werden zu lassen.
Julius Posener war ein Jude in Deutschland – gescheit, streitbar, witzig und poetisch, aber kein Stadtneurotiker, eher ein Flaneur, ein Liebhaber der wertvollen Bauten. In Häusern sollte man „spazieren“ können, Treppen waren gut, wenn sie „bequem konstruiert“ waren. Funktion und nicht Form erschienen ihm wichtig.
Die Funktion lernte Posener bei seinem Lehrer Hans Poelzig. 1929 schloß er sein Architekturstudium in Berlin ab. Als die Nazis Posener 1933 aus Berlin vertrieben, wanderte er nach Paris aus, wo er als Redakteur der Fachzeitschrift Architecture d'aujourd'hui arbeitete. Die Fluchtreise führte den sprachmächtigen Architekturhistoriker weiter nach Tel Aviv, Jerusalem, London und Kuala Lumpur, wo er als Hochschullehrer tätig war.
Am 13. August 1961, dem Tag des Mauerbaus, kehrte Posener nach Berlin zurück und übernahm an der Hochschule der Künste bis 1971 den Lehrstuhl für Baugeschichte. Die Vorlesungsreihe über wilhelminische Architektur, die Zeit der Vormoderne, der großen Baumeister des Werkbundes, gehörten damals zu den Rennern in einer Zeit der studentischen Revolte und des Bauwirtschaftsfunktionalismus.
Aber Posener blieb nicht im akademischen Glaskasten. Als Doyen der Berliner Architekten setzte er sich ein für den Erhalt von denkmalwürdigen Bauten und ganzer Ensembles. Als 1988/89 die Abrißbirne in Ludwig Hoffmanns wunderbare Krankenhauspavillons flogen, damit Platz geschaffen werden sollte für die neue Virchow-Klinik, gab Posener die Ernst-Reuter-Plakette, die höchste Auszeichnung Berlins, aus Protest zurück.
In seinem Haus in Dahlem, randvoll mit Büchern und Geschichten, lebte der alte Mann mit seinen Leguanen, faltig wie er, weise und nicht ganz harmlos. Am Montag ist Julius Posener im Alter von 91 Jahren gestorben. Rolf Lautenschläger
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