Nachruf auf Jan Assmann: Ein Gelehrter

Er prägte zusammen mit seiner Frau das Konzept des „kulturellen Gedächtnisses“. Zum Tod des Ägyptologen und Kulturhistorikers Jan Assmann.

Portrait des damals 84 Jahre alten Historikers Jan Assmann im Anzug und mit Fliege

Jan Assmann im September 2022 Foto: IMAGO/Christian Spicker

Mit ihm geht einer der letzten Vertreter einer Historikergeneration, die noch im Geiste Friedrich Meineckes aufgewachsen war: Jan Assmann prägte gemeinsam mit seiner Frau Aleida das Konzept des „kulturellen Gedächtnisses“, die beiden galten als das bildungsbürgerliche Vorzeigepaar der deutschen Geisteswissenschaft. Doch mit seinem Changieren zwischen Empirie und Auslegung war der Kulturhistoriker Assmann in einer Histori­kerzunft, die seit den Neunzigerjahren zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung immer mehr sozialwissenschaftlich geprägt war, auch Außenseiter. In Heidelberg hatte er von 1976 bis 2003 eine Professur inne, und vor allem dort wird sein Tod intensiv betrauert.

Ihr „kulturelles Gedächtnis“ entwickelten die Assmanns im Ausgang von Denkern wie Aby Warburg, C. G. Jung und dem Widerstandskämpfer Maurice Halbwachs, der von „kollektivem Gedächtnis“ gesprochen hatte. Sie schlossen aber auch ans 19. Jahrhundert an, das sich mangels einer quantitativen Sozialforschung dem Extrapolieren von „großen Linien“ und Nationalcharakteren verschrieb, und einem Trend aus der Zeit unmittelbar vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, als man nach metahistorischen Gründen für die „deutsche Katastrophe“ (Meinecke) suchte.

Eine andere zentrale Referenz war Karl Jaspers, an dessen Topos der „Achsenzeit“ Assmann in seiner Forschung zur Genese des Monotheismus anschloss. In „Moses der Ägypter“ (1998) suchte der promovierte Ägyptologe Assmann nicht nur den Nachweis für die längst bekannte These zu führen, dass die Israeliten den Ein-Gott-Glauben aus dem Ägypten des Echnaton übernommen hätten, sondern unterzog den Monotheismus wegen seines Absolutheitsanspruchs einer Kritik. Das wurde ihm von einigen als antijüdisch ausgelegt, worauf er 2003 mit „Die mosaische Unterscheidung“ reagierte.

Die bildungsbürgerliche Existenz, worunter man ursprünglich nicht den Zahnarzt-, sondern den Gelehrtenhaushalt verstand, in dem die Bücher im Regal auch gelesen und vor allem verstanden werden, schafft eine intellektuelle und musische Geborgenheit – Assmann spielte und komponierte klassische Musik –, in der im besten Fall „das Moralische sich von selbst versteht“ (Hannah Arendt); aber sie kann auch dazu verleiten, von der eigenen Einbettung in historische Linien und geistige Räume auf die Verfassung ganzer Gesellschaften, den Zustand ganzer Epochen zu schließen, die sich in ihrer nicht erst modernen Fragmentierung solchen Festlegungen in der Regel entziehen.

Andererseits finden sich unter den solcherart Eingebetteten, die mit der Zeit nicht mehr werden, nicht selten die brillantesten Köpfe und tolerantesten Geister in einer immer mehr zur Spezialisierung neigenden Geisteswissenschaft. Wie Assmanns Weggefährte Michael Wolffsohn es ausdrückt: „Nur wenige Professoren sind Gelehrte. Professor Jan Assmann war ein großer Gelehrter.“ Nun ist Jan Assmann im Alter von 85 Jahren in Konstanz gestorben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.