piwik no script img

Nachruf auf Günter KunertEin heiterer Melancholiker

Er galt als Meister der kurzen Form: Günter Kunert war vor allem ein Lyriker. Mit 90 Jahren starb der Schriftsteller in seiner Wahlheimat Itzehoe.

Zu seinem 90. Geburtstag gab er noch ein Interview Foto: dpa

Hannover epd | Einen heiteren Melancholiker hat er sich einmal selbst genannt. Günter Kunert war aber auch vital, außerordentlich produktiv – und hilfsbereit. So erlebte ihn sein Freund, der Autor Kurt Drawert. „Er war der Erste, der sich telefonisch bei mir erkundigte, wie es mir geht und ob er helfen kann, als ich Anfang der 90er Jahre von Leipzig nach Niedersachsen zog. So etwas vergisst man nicht“, sagte Drawert über den Dichter, der nach Berichten der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ am Sonnabend in Alter von 90 Jahren in seiner Wahlheimat bei Itzehoe starb.

Kunert wusste, wie es ist, von Ost nach West zu wechseln: Als er 1979 mit seiner Frau von Ostberlin nach Schleswig-Holstein übersiedelte, war er schon 50 Jahre alt. Der Katzenliebhaber ließ sich im kleinen Dorf Kaisborstel nahe Itzehoe nieder und handelte sich mit seinen skeptischen bis pessimistischen Versen und Aphorismen bei seinen Rezensenten bald den Spitznamen einer „Kassandra von Kaisborstel“ ein.

Der gebürtige Berliner war ein vielseitiger Künstler. Obwohl er die Lyrik als Kern seines Schaffens empfand, schrieb er auch Erzählungen, Essays, Reiseberichte, Schauspiele und Kinderbücher. Einen Roman hat er unter dem Titel „Im Namen der Hüte“ 1967 in der Bundesrepublik publiziert.

Kunert malte und zeichnete außerdem. Nach dem Krieg hatte er ein Grafik-Studium begonnen, das er aber schon nach zwei Jahren abbrach. Noch im selben Jahr, 1947, veröffentlichte er sein erstes Gedicht unter dem Titel „Ein Zug rollt vorüber“ in einer Berliner Tageszeitung.

Eine höhere Schule durfte er nicht besuchen

Gern wäre er Archäologe geworden, doch als Sohn einer jüdischen Mutter durfte er in der NS-Zeit keine höhere Schule besuchen. Als „wehrunwürdig“ ausgemustert, überstand Kunert den Krieg und trat 1949 in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) der neu gegründeten DDR ein.

Im Jahr darauf wurden die Schriftsteller Johannes R. Becher und Bertolt Brecht auf ihn aufmerksam und begannen, ihn zu fördern. 1962 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis. 1963 erschien sein erster Gedichtband („Erinnerung an einen Planeten“) im westdeutschen Carl Hanser Verlag. Dann begannen die Konflikte mit dem SED-Regime. Denn Kunert schrieb keine Hymnen, sondern satirische Gedankenlyrik. 1976 gehörte er zu den Erstunterzeichnern der Petition gegen die Ausbürgerung seines Freundes Wolf Biermann.

Drei Jahre später reiste er selbst mit seiner Frau aus. „Fremd daheim“ heißt einer seiner Gedichtbände, die seitdem im Hanser Verlag erschienen. Darin setzte er sich lyrisch mit dem Mauerfall 1989 und seinen Folgen auseinander.

Für den Göttinger Wallstein Verlag arbeitete der Autor in den vergangenen Jahrzehnten an seinem „Big Book“, einem Konglomerat aus lyrischen Skizzen, Traumnotaten, Erinnerungssplittern und Tagesnotizen in mehreren Bänden. 2001 erschien „Nachrichten aus Ambivalencia“, 2011 „Die Geburt der Sprichwörter“, 2013 „Tröstliche Katastrophen“.

Keine Belletristik mehr

Im vergangen Jahr kam „Ohne Umkehr“ heraus: ein illusions-, wenn nicht hoffnungsloser Blick in den Abgrund der Weltpolitik. „Während ich schlief/ging die Welt unter“, heißt es auch im jüngsten Lyrikband „Aus meinem Schattenreich“ (Hanser 2018).

Bei Wallstein erschien auch erst kürzlich Kunerts zweiter Roman unter dem Titel „Die zweite Frau“. Das verschollene Manuskript von 1974/75, wegen seiner Frechheit undruckbar in der DDR, hatte der Verfasser nach mehr als 40 Jahren in einer Truhe wiedergefunden: Der männliche Protagonist irrt durch das Ostberlin der 1970er Jahre, um ein passendes Geschenk zum 40. Geburtstag seiner Frau zu finden – vergebens. Also versucht er es im Intershop, wo man nur mit Westgeld bezahlen kann. Als er unbedachte Bemerkungen macht, entwickelt sich aus Missverständnissen eine Tragikomödie.

Kunert selbst las – nach eigenem Bekunden – zuletzt kaum noch Belletristik. Sachbücher und Biografien interessierten ihn mehr, sagte er schon vor Jahren dem Magazin „Cicero“. Die meisten seiner Bücher habe er verschenkt, viele gingen an die Bibliothek einer Münsteraner Haftanstalt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • 0G
    05158 (Profil gelöscht)

    LAIKA

    In einer Kugel aus Metall,



    Dem besten, das wir besitzen,



    Fliegt Tag für Tag ein toter Hund



    Um unsre Erde



    Als Warnung,



    Daß so einmal kreisen könnte



    Jahr für Jahr um die Sonne,



    Beladen mit einer toten Menschheit,



    Der Planet Erde,



    Der beste, den wir besitzen.

    • @05158 (Profil gelöscht):

      Danke.



      Wie schön und wie traurig.

    • @05158 (Profil gelöscht):

      Danke. Gute Reise Günter Kunert.

      Ein heiterer Ironiker mit Aplomb.

      • @Lowandorder:

        unterm——Itzehoe & Wallstein - Ironie

        “ Fünfter Auftritt

        Vorige. Zwei Jäger. Dann Marketenderin. Soldatenjungen. Schulmeister. Aufwärterin.…

        Sieh! sieh! Da treffen wir lustige Kompanie.



        TROMPETER.



        Was für Grünröck mögen das sein?



        Treten ganz schmuck und stattlich ein.



        WACHTMEISTER.



        Sind Holkische Jäger, die silbernen Tressen



        Holten sie sich nicht auf der Leipziger Messen.



        MARKETENDERIN kommt und bringt Wein.



        Glück zur Ankunft, ihr Herrn!



        ERSTER JÄGER.



        Was? der Blitz!



        Das ist ja die Gustel aus Blasewitz.



        MARKETENDERIN.



        I freilich! Und Er ist wohl gar, Mußjö,



        Der lange Peter aus Itzehö?



        Der seines Vaters goldene Füchse



        Mit unserm Regiment hat durchgebracht



        Zu Glücksstadt in einer lustigen Nacht. –



        ERSTER JÄGER.



        Und die Feder vertauscht mit der Kugelbüchse.



        MARKETENDERIN.



        Ei! da sind wir alte Bekannte!…“

        ——btw —wenn‘s so - Schillert —



        “Der Jäger Peter aus Itzehoe

        Der erste Jäger, der lange Peter aus Itzehoe, der wer weiß wie oft den Dienst gewechselt hat, repräsentiert die Abenteurer und Glücksritter, die sich in großer Masse besonders in dem Holkschen Corps fanden. Obwohl dem Schreibepult entlaufen, legt er doch einen gewissen Wert auf Lesen und Schreiben. Sonst aber ist ihm das zügellose Leben sein eigentlicher Lebensgenuss. Die lockende Aussicht auf Beute eine Veranlassung, mit Geringschätzung auf den Bürger herabzublicken. Ihm zu Seite steht der Dragoner aus dem Buttler‘schen Regiment, ein unzuverlässiger Charakter, der eben auch nur des Glückes Stern folgt.“



        (“Bei den Figuren in Wallensteins Lager kam es Schiller besonders darauf an, sie nicht nur als Repräsentanten ihrer Nationen, sondern auch als vorläufige Abbilder ihrer später zu erwartenden Heerführer hinzustellen.“)



        www.zeno.org/Liter...+Lager/5.+Auftritt



        &



        www.friedrich-schi...ns-lager-schiller/