Nachruf Filmemacherin Agnès Varda: Bis zuletzt eine freudige Feministin
Politisches Bewusstsein, Stil und Selbstironie: Die französische Filmemacherin Agnès Varda, die das Denken in Bilder fasste, ist tot.
Ein wenig gerührt wirkte sie, als sie im Februar auf die Bühne des Berlinale-Palasts gebeten wurde, kurz vor der Vorführung ihres autobiografischen Dokumentarfilms „Varda par Agnès“. Ein wenig gerührt, wegen des soeben erhaltenen Ehrenpreises inklusive warmherziger Laudatio – dennoch gelassen, selbstbewusst und bestimmt. Agnès Varda, die am 29. März im Alter von 90 Jahren starb, war eine Regisseurin, die ihre präzise Sprache mit einer gleichsam präzisen politischen Aussage verband, um konsequentes Autorenkino zu produzieren.
„Meine Filme haben nie Geld eingespielt“, hatte sie kurz vorher auf einer Pressekonferenz konstatiert, „nur 'Vogelfrei’ hatte ein bisschen Erfolg – aber ich bin stolz, dass er überall bekannt ist.“ „Vogelfrei“ von 1985 erzählt in Rückblenden die Geschichte einer jungen Frau, gespielt von der damals 17-jährigen Sandrine Bonnaire, die als Landstreicherin durch das winterliche Südfrankreich zieht und die Unabhängigkeit von einem Wohnsitz, einem Menschen oder einem Broterweb über alles stellt. Mona erfriert – und nimmt dabei ihr Motiv wie ein Geheimnis mit ins Grab.
Varda war es nicht darum gegangen, ihre Protagonistin zu erklären, sondern um die Schaffung eines schroffen, im Gegensatz zu üblichen Kinofiguren stehenden weiblichen Charakters.
Die aktive Rolle der Kamera
Der filmische Rahmen war ebenso ungewöhnlich: Mit Kamerafahrten in festgelegten Abständen entwickelt „Vogelfrei“ einen eigenen, subtilen, enigmatischen Rhythmus – der das Werk auch über die feministische Aussage und Bonnaires feines Spiel hinaus zu einem Erlebnis macht. In „Varda par Agnès“ erklärt Varda diese formale Struktur, während sie dabei auf einem Kamerawagen sitzt, der durch ein Feld fährt; die charakteristische Bobfrisur schützt sie mit einem durchsichtigen Regenschirm vor der Nässe – Varda besaß nicht nur ein politisches Bewusstsein, sondern auch Stil und Selbstironie.
Varda wurde 1928 in Belgien geboren und wuchs, nachdem die Familie 1940 nach Frankreich geflüchtet war, an der Mittelmeerküste auf. In Paris studierte sie unter anderem an der Sorbonne und wandte sich nach einer Fotograf*innenlehre dem Film zu.
Ihren ersten Film drehte sie 1954, und definierte mit „La Pointe-Courte“ die Nouvelle Vague: In schwarz-weißen, stilisierten Szenen erzählt sie von der Entfremdung eines Ehepaares, das eine Urlaubsreise in die Heimat des Mannes macht. Die Kamera übernimmt, wie in all ihren Werken, eine aktive, erzählerische Funktion – auch im 1961 entstandenen „Cléo – Mittwoch zwischen 5 und 7“ ist die Kamera eine verlässliche Kommentatorin von gesellschaftlichen und Gender-Zwängen.
Ermutigung der Frauen von Cannes
„Ich bin immer noch eine freudige Feministin“, sagte sie jüngst und kombinierte ihre Zufriedenheit darüber, dass mehr Frauen in Cannes zu sehen seien, mit der Kritik am System: „Auf der Straße protestieren ist wichtiger, als mit einem schönen Kleid auf einer Showtreppe zu stehen.“
Varda drehte 27 Filme, ihr letzter wurde von ihrer Tochter, der Kostümbildnerin Rosalie Varda, produziert, ihr aus der Verbindung mit dem Regisseur Jacques Demy stammender Sohn Mathieu ist Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor. Für ein „Frau Varda, wie haben Sie das gemacht?“-Buch ist es leider zu spät. Man hätte daraus garantiert etwas oder vielleicht alles lernen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs