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Nachrichtensperre zu Rohdes EntführungFreiwillige Wikipedia-Zensur

Als der US-Reporter David Rohde von den Taliban entführt wurde, herrschte nicht nur in den Medien eine Nachrichtensperre, sondern auch beim großen Online-Lexikon Wikipedia.

Seit der Journalist David Rohde sich aus seiner Gefangenschaft befreien konnte, ist auch der Wikipedia-Artikel über ihn wieder online - inkl. Hinweis auf die Informationssperre. Bild: screenshot wikipedia

Sieben Monate lang befand sich der "New York Times"-Journalist David Rohde in der Gefangenschaft der Taliban, bis er sich in diesem Monat selbst befreien konnte. Neuigkeiten zum Entführungsfall des preisgekrönten Reporters, der eigentlich manche Schlagzeile wert gewesen wäre, gab es die ganze Zeit über nicht. Der Grund: Die Zeitung hatte andere Redaktionen gebeten, Stillschweigen zu bewahren, um den Islamisten, die Rohde entführt hatten, nicht in die Hände zu spielen. Ihre Theorie: Wenn unbekannt bliebe, welchen Wert der Mann tatsächlich hatte, würden seine Entführer womöglich weniger wachsam bleiben. Das bestätigte sich schließlich auch: Rohde entkam auch deshalb glimpflich, weil seine Bewacher nachlässig wurden.

Was bei klassischen Medien als selbstauferlegte Nachrichtensperre bekannt ist, lässt sich im Internet eigentlich nur schwer durchsetzen. So finden sich insbesondere im Online-Lexikon Wikipedia schnell aktuelle Informationen über eine Person. Bei der "Times" wendete man sich deshalb direkt an den Gründer der Seite, Jimmy Wales. Und siehe da: Auch der verpflichtete sich zur Selbstzensur, überwachte Rohdes Eintrag, sperrte gegebenenfalls und nahm selektive Löschungen vor, um den Journalisten als relativ unbedeutend dastehen zu lassen.

Ein gutes Dutzend Mal sollen laut einem Bericht der "New York Times" Wikipedia-Beitragende versucht haben, Rohdes Seite um die Information zur Entführung zu ergänzen. Jedes Mal wurden sie wieder entfernt. Wales arbeitete dabei im Team mit anderen Administratoren der Seite zusammen. Das habe auch deshalb geklappt, weil die Kidnapping-Nachricht nicht in einer für die Wikipedia-Standards verlässlichen Quelle aufgeführt war, sagte Wales. "Sonst hätte ich eine wirklich harte Zeit damit gehabt." Wales ließ auch zu, dass "Times"-Journalisten Rohdes Eintrag mit für die Taliban positiven Informationen fütterten, darunter Hinweisen auf dessen kritische Berichte zu Guantanamo und dem Massaker von Srebrenica an bosnischen Muslimen. Die Medienleute versteckten dabei ihre wahre Identität, weil sie nach Wikipedia-Standards nicht neutral gewesen wären.

Der Fall zeigt, wie mächtig die Wikipedia-Führung sein kann. Wales selbst wurde schon mehrfach vorgeworfen, Änderungen an Seiten vorgenommen zu haben, die Bekannten gehörten, unter anderem die einer Ex-Freundin. Allerdings wurden viele dieser Einträge von aufmerksamen Wikipedianern rückgängig gemacht, selbst Wales' eigene Seite enthielt kritische Informationen zu ihm. Das Silicon-Valley-Klatschblog "Valleywag" schrieb dennoch zynisch, in diesem Fall habe die Zensur Wales endlich einmal zum Helden gemacht. Wales sei wieder als Gesicht der Wikipedia hervorgetreten, obwohl die Stiftung, die das Online-Lexikon betreibt, längst von einer anderen Person geleitet würde. Die Affäre zeige, dass die Wikipedia-Regeln keineswegs so strikt seien.

Neben der selbst auferlegten Zensur gab es bereits einige Fälle, in denen bekanntere und unbekanntere Personen versuchten, Wikipedia auf dem Klageweg zum Unterdrücken von Inhalten zu bewegen. Ganz leicht ist das nicht: Ein Deutscher müsste das Verfahren beispielsweise schon am Hauptsitz des Online-Lexikons in den USA einleiten - obwohl es von der betreibenden Stiftung stets heißt, sie sei letztlich nicht für die von Nutzern eingestellten Inhalte endverantwortlich. Wenn es Wales nun gelingt, sieben Monate dafür zu sorgen, dass bestimmte Inhalte nicht auf der Seite auftauchen, könnte diese Verteidigungsstrategie bröckeln.

Hier zu Lande gilt sie jedoch weiterhin ganz praktisch: Der hiesige Förderverein Wikimedia Deutschland betreibt allein die Domain "wikipedia.de", die auf die eigentliche Wikipedia-Seite unter "wikipedia.org" umleitet. Zu den bekannteren Vorfällen gehört das Vorgehen eines Politikers gegen Wikimedia Deutschland, das kurzzeitig sogar zu einer Sperre der deutschen Adresse führte, sowie der Streit um den Eintrag eines verstorbenen Hackers, dessen Eltern seinen Klarnamen nicht im Internet-Lexikon sehen wollten.

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