Nachrichten von 1914 – 24. August: Die ersten Verwundetentransporte
In Berlin treffen die ersten Verwundeten von der Front ein. Streifschüsse und Fleischwunden sind die häufigsten Verletzungen.
In Berlin sind gestern die ersten größeren Transporte von Verwundeten eingetroffen. Dank den behördlichen Vorbereitungen ging die Überführung der Verwundeten von den Auslandsbahnhöfen nach den Lazaretten ohne jede Störung vor sich. Der erste Lazarettzug lief in der dritten Morgenstunde auf dem Bahnhof Tempelhof ein. Er brachte mehrere hundert Verwundete.
Ehe mit dem Ausladen begonnen wurde, reichten Samariterinnen vom Roten Kreuz und vom Vaterländischen Frauenverein Erfrischungen ind die Coupés. Die Stimmung unter den Verwundeten war recht gut. Sie erzählten von der vorzüglichen Verpflegung auf der weiten Reise und lehnten zum Teil sogar Erfrischungen und andere Liebesgaben dankend ab, da sie unterwegs schon des Guten genug erhalten hätten. Sie erzählten auch Einzelheiten aus den Gefechten, an denen sie teilgenommen hatten.
Die Mehrzahl der Mannschaften war nur leicht verwundet. Sie hatten Streifschüsse und Fleischwunden erlitten. Die schwerer Verwundeten, die hauptsächlich Beinverletzungen hatten, wurden zuerst auf Tragbahren aus den Bahnwagen gehoben und in die bereitstehenden Krankenautomobile und Krankenwagen gebracht. Die Automobile waren von den verschiedenen Krankentransporten und vom Kaiserlichen Automobilklub gestellt worden.
Auch elf große Postwagen wurden zum Verwundetentransport benutzt. Sie sind vom Verband für erste Hilfe von der Postbehörde geliehen und mit Krankentragen und Krankenstühlen ausgestattet worden. Sie haben den Vorteil, dass man in ihnen gleich eine größere Anzahl Verwundeter aufnehmen kann. Ein kleiner Teil er Verwundeten wurde auch mit Hilfe von Straßenbahnwagen befördert. Die Krankenträger wurden von der Genossenschaft freiwilliger Krankenpfleger und von der Sanitätskolonne Tempelhof gestellt. Die Verwundeten wurden zum größten Teil in das Garnisonslazarett zu Tempelhof gebracht. Die übrigen fanden im Lazarett der Berliner Bockbrauerei Aufnahme. Der zweite Verwundetentransport traf gegen 6 Uhr morgens auf dem Lehrter Bahnhof ein.
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Diese Verwundeten wurden zum Teil in das Moabiter Krankenhaus und zum Teil in die Charité gebracht. Zwei Stunden später folgte ein dritter Lazarettzug auf dem Bahnhof Moabit und gegen Mittag ein vierter auf dem Ostbahnhof. Die Bahnhöfe waren streng abgesperrt und das Publikum hatte nur Gelegenheit, die vielen Automobile und Wagen zu betrachten, die durch Fahnen mit rotem Kreuz auf weißem Feld als Verwundetentransporte kenntlich gemacht waren. Abends kurz nach 6 Uhr traf ein weiterer größerer Transport von Verwundeten auf dem Schlesischen Bahnhof ein. Die Verwundeten kamen teils von der West-, teils von der Ostgrenze. Ihre Gesamtzahl dürfte etwa tausend betragen.
In der ersten Nachtstunde liefen auf dem Stettiner Bahnhof noch zwei Züge mit Verwundeten ein. Der Bahnhof war von einer nach mehreren Tausend zählenden Menschenmenge umlagert. Die Polizei hatte strenge Absperrungsmaßnahmen getroffen. Die Verwundeten wurden ohne jede Störung in die Lazarette der für sie bestimmten Krankenhäuser gebracht.
In den Lazaretten wurden die Verbände der Verwundeten sofort geprüft und, wo es sich als notwendig erwies, erneuert. Unter den Verwundeten befinden sich auch einige russische Verletzte, die einen beklagenswerten Eindruck machten. Das Schuhwerk war bei den meisten vollständig zerrissen, und auch die Kleidung ließ viel zu wünschen übrig. Einige der Russen trugen eine feldgraue Uniform, die aus einem sackartigen Leinenstoff gefertigt ist. Unsere deutschen Soldaten haben auch viele Andenken in Gestalt russischer Infanteriemunition mitgebracht. Diese unterscheidet sich von der unsrigen durch die längeren und spitzeren Stahlgeschosse und durch die größere Breite der Hülsen.
Auch in Potsdam sind gestern die ersten Verwundeten eingetroffen. Sie wurden, nachdem ihnen das nach Tausenden zählende Publikum lebhafte Ovationen dargebracht hatte, in das Garnisonslazarett oder in das städtische Krankenhaus gebracht.
Quelle: Berliner Tageblatt
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