Nachrichten von 1914 – 21. August: Ernährung der Massen im Krieg

Die Heeresverwaltung hat eine Verfügung von einschneidender Bedeutung für die Ernährung getroffen: die Einschränkung des Alkoholgenusses.

Festliche Tafel vor dem Ersten Weltkrieg. Bild: dpa

Dass der Erfolg der Waffen mit in allererster Linie von der Ernährung der Soldaten abhängig ist, ist eine Tatsache, die solange bekannt und bestätigt ist, wie wir eine Welt- und Kriegsgeschichte besitzen. Aber auch die ausreichende Ernährung der zurückgebliebenen Volksgenossen ist für den glücklichen Ausgang eines Krieges von außerordentlicher Bedeutung.

Sie sollen ja, so weit als irgend möglich, auch während der Kriegszeit die notwendige Friedensarbeit verrichten, die ja ganz besonders wiederum darauf gerichtet sein muss, dem im Felde stehenden Heere ausreichende Ernährung und Verpflegung zu sichern. Geht doch auch aus ihnen, besonders bei länger dauernden Kriegen, der Nachschub hervor, der die gelichteten Reihen der Verteidiger aufzufüllen hat.

Dennoch scheint mir, wenn man die Frage der Massenernährung im Kriege zu beurteilen hat, der Gesichtspunkt nicht unbedingt der gleiche zu sein für die Ernährung der im Felde stehenden Heeresmassen und der zurückgebliebenen Bevölkerung. Für letztere kann man, wenn es nötig ist, sparen. Man kann zweckmäßige Änderungen der Kost eintreten lassen, unnötigen Luxus einschränken, den Verkauf knapper Nahrungsmitteln limitieren. Für das Heer aber gilt neben Güte, Reichlichkeit und zweckmäßiger Zusammensetzung der Kost vor allem wohl noch ein oberster Grundsatz, nämlich der, dass an der gewohnten Form der Nahrungsaufnahme möglichst wenig geändert wird.

Nach allem ,was bisher über die Kriegsbereitschaft des Vaterlandes auch in Bezug auf Ernährung mitgeteilt wurde, liegt, vorausgesetzt, dass nicht eine erheblichere Invasion von Feindesmassen im eigenen Lande erfolgt, kein Grund vor, eine solche Zwangslage anzunehmen.

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In einem Punkte allerdings hat die Heeresverwaltung eine Verfügung von einschneidender Bedeutung für die Ernährung des Heeres getroffen: die Einschränkung des Alkoholgenusses. Diese Maßregel ist mit Freuden zu begrüßen. Wenn es auch feststeht, dass der Alkohol im Sinne der Krafterzeugung ein Nahrungsmittel ist, so wissen wir doch, dass er auch, abgesehen von der Giftwirkung, ein unrationelles Nahrungsmittel darstellt. Allerdings vermag der Alkohol, sinkende Kräfte vorübergehend zu beleben, doch folgt auf den Reizzustand sehr bald ein Zustand erhöhter Ermattung. Eine zweckmäßige Verwendung des Alkohols in dieser Beziehung würde daher eine sehr schwierige Aufgabe sein, die sich in genügender Weise wohl kaum durchführen ließe. Die günstigen Wirkungen des Alkohols wird daher wohl lediglich der Arzt und Krankenpfleger sachgemäß und zielbewusst auszunutzen vermögen.

Der Entschluss der Heeresverwaltung ist um so mehr berechtigt, als die Giftwirkung des Alkohols ja naturgemäß geradezu zerrüttend auf die Schlagfähigkeit eines Heeres einwirken muss. Es sei aber hier darauf hingewiesen, dass schon geringe Dosen Alkohol, die keineswegs den Zustand der Trunkenheit hervorrufen, wesentlichen Schaden herbeiführen können. Wir haben exakte Versuche, die den Nachweis liefern, dass zum Beispiel die Marschleistung eine herabgesetzte ist infolge unzweckmäßigerer Innervation der Muskeln. Wir können durch Analogieschluss wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass auch die Treffsicherheit beim Schießen selbst durch geringe Alkoholdosen beeinträchtigt werden wird. Allerdings besitzt der Alkohol eine Eigenschaft, die ihn im Kriege oft wertvoll erscheinen lässt: er hebt die Stimmung, lässt Sorgen und Frucht vergessen. Der deutsche Soldat bedarf in diesem heiligen Kampfe dieser Alkoholwirkung nicht.

Es scheint nicht zweckmäßig, die Ernährung des Soldaten im Felde allzu voluminös zu gestalten. Von dem oben ausgeführten allgemeinen Grundsatz ausgehend, dass an der Soldatenkost möglichst wenig geändert werden soll, wird die Verwendung von stark kleiehaltigen Broten, wie Kommisbrot, von Hülsenfrüchten, speziell Erbsen, von Kohlarten usw. notwendig ist. Zudem st der Soldatenmagen eine sogenannte kräftige Kost gewöhnt. Diese stark zellulosehaltigen und infolge dessen schwer verdaulichen Nahrungsmittel dürfen aber nicht im Vordergrunde der Ernährung stehen, denn zu große Mengen derselben bürden dem Verdauungsapparat eine zu große Arbeit auf. Sie machen den Menschen infolge der starken Anfüllung des Magens und der Därme schwerfällig und infolge der starken Durchblutung des Verdauungsapparates, wobei die notwendige Blutmenge vornehmlich dem Hirn und den Muskeln entzogen wird, müde und träge. Wir werden daher beim Heere neben den leicht verdaulichen Vegetabilien, wie vor allem den Kartoffeln, den Mehlgerichten mit oder ohne Verwendung von Zucker, dem Reis usw. der reichlichen Benutzung der Nahrungsmittel animalischer Herkunft in Form von Fleisch, Schmalz, Butter, Käse und Eiern nicht entraten können.

Schließlich sei auch hier des Alkohols gedacht. Ein Alkoholverbot für die zurückgebliebene Bevölkerung zu erlassen, erscheint wohl unnötig. Wenn eine Einschränkung der Bereitung alkoholischer Getränke und damit natürlich auch des Konsums das Wort geredet werden muss, so sind die Gründe ganz anderer Natur. Es kommen ja im wesentlichen Bier und Branntwein in Betracht. Der Wein des letzten Jahrganges ist noch nicht gewonnen, der der früheren liegt als solcher in dem Keller. Er möge fließen, wenn uns Sieg und glücklicher Friede beschert wird.

Die Herstellung von Bier und Branntwein stellt sich aber nun im ernährungsphysiologischen Sinne als eine ungünstige Verwertung der als Rohmaterial dienenden Nahrungsmittel dar. Nur ein verhältnismäßig geringer Anteil des Nährwertes der Grundstoffe wird dem Konsumenten in dem fertigen Getränke geboten. Hierbei ist bezüglich des Bieres noch besonders darauf hinzuweisen, dass die Gerste bisher zum Teil aus dem Auslande, zumal aus Russland bezogen wurde. In noch erhöhterem Maße gilt die Unzweckmäßigkeit der Ausnutzung des Nährwertes von dem Branntwein. Es sollte wohl eigentlich überhaupt während des Krieges nur so viel gebrannt werden, als für technische Zwecke notwendig ist. Auch hier ist größte Sparsamkeit geboten, weil als Ausgangsmaterial vorwiegend das Nahrungsmittel benutzt wird, das für uns momentan gerade von der allergrößten Bedeutung ist, nämlich die Kartoffel.

Kartoffeln bieten uns einen verhältnismäßig hohen Nährwert in relativ sehr preiswerter Form. Sie sind als vorwiegendes Nahrungsmittel um vieles zuträglicher als manche andere Vegetabilien, vornehmlich der Reis, und gewährleisten nicht in letzter Linie durch die mannigfaltig möglichen Formen der Zubereitung Abwechslung und Wohlgeschmack. Neben der Kartoffel kommt natürlich als wichtigstes Volksnahrungsmittel das Brot in Betracht. Unsere Ernte ist gut gewesen, und da wir unsere Grenzen schützen konnten, brauchen wir nicht besorgt zu sein bezüglich des Getreidebestandes unseres Vaterlandes. Auch die Bestellung der Felder für die Winterstaaten und die noch ausstehende Erntung der Kartoffeln dürfte ungehindert vonstatten gehen. Wenn ein Mangel an Weizenbrot wahrscheinlich ist, so wird der Überfluss an Roggen reichlich imstande sein, das Manko auszugleichen.

Vielleicht in erhöhtem Maße als bisher dürfte der Zucker im Vordergunde der Volksernährung stehen. Ebenso wie der Import erschwert oder verhindert ist, ist es auch der Export. Wir werden also die ungeheuer großen Mengen Zucker, mit denen wir sonst das Ausland versorgen, vorwiegend oder völlig im Lande behalten. Wir werden ihn ausnutzen können in Form von gefüßten Mehlspeisen, gefüßten Gebäcken, Kompotts, eingemachtem Obst, Reisspeisen und Schokolade, soweit der Kakaovorrat reicht.

Aus alledem geht hervor, dass an der notwendigen Kohlehydratzufuhr und damit auch dem nötigen Energiewert in der Kost der Bevölkerung selbst unter ungünstigen Verhältnissen ein Mangel nicht eintreten kann, auch dann, wenn eine Zufuhr von außen, besonders über Italien, nicht möglich ist.

Ungünstiger scheinen mir die Verhältnisse zu liegen für die Fleisch- und Fettzufuhr. Bezüglich der Fettzufuhr werden wir im wesentlichen auf die im Lande produzierten tierischen Fette angewiesen sein. Denn die pflanzlichen Fette, die wir benutzen, werden in erster Linie aus Importartikeln gewonnen und werden daher auf die Dauer kaum in größerer Menge zur Verfügung stehen. Die Verwendung des tierischen Fettes hängt aufs innigste zusammen mit der Frage der Vihzucht und der Verwendung und Bereitstellung von Fleisch und Milch. Eine eventuelle Einschränkung des Fettgenusses ist aber nicht von allzu großer Bedeutung; Fette dienen in gleicher Weise wie Kohlehydrate lediglich dem Kraftbedarf des Organismus und werden daher durch letztere in beliebiger Weise, ihrem Energiegehalte entsprechend, im Haushalte des Körpers vertreten. Das Verhältnis des Energiegehaltes beider Nährstoffgruppen ist dabei ein derartiges, dass zum Beispiel etwa zwei Gramm Zucker ein Gramm Butter vertreten können. Die schwierigste Frage, die sich uns bei der Erörterung der Massenernährung Deutschlands während des Krieges darbietet, ist der Fleischkonsum.

Nach den Mitteilungen der Landwirtschaftskammern ist auch für die gesamte Ernährung des Volkes ein erheblicher Fleischmangel in absehbarer Zeit nicht zu befürchten. Eine Einschränkung scheint mir aber trotzdem geboten, schon um dem Heer eine reichliche Fleischversorgung zu sichern. Ein anderer Gesichtspunkt aber ist wohl noch wichtiger. Es ist mir sehr zweifelhaft, ob eine umfangreiche Viehhaltung nicht durch Entziehung von pflanzlichem Material, das auch für die Ernährung des Menschen in Betracht kommt, unsere Reserven für den Fall einer nächstjährigen Missernte allzu sehr hindert. Es gelten hier Überlegungen, die ganz ähnlich sind denjenigen, die hinsictlich der Bierbereitung und Branntweinbrennerei erwähnt wurden. Auch der Nährwert, der im Fleische dargeboten wird, stellt nur einen relativ geringen Anteil des Wertes dar, der in Form pflanzlicher Nahrungsstoffe zur Produktion dieses Fleisches verwandt wurde. Nur teilweise wird das Viehfutter aus Nährmaterial gewonnen, das als solches für den Menschen nicht in Betracht kommt, wie Stroh, Gras, Klee und industrielle Abfälle, wie Rübenschnitzel und Melasse. Die, wie mir scheint, wünschenswerte Einschränkung der Viehzucht würde in erster Linie das Schwein betreffen. Kühe und auch Jungvieh müssen unbedingt in der Menge erhalten bleiben, dass auf längere Zeit hinaus die Lieferung billiger und guter Milch für die heranwachsende Bevölkerung gesichert ist.

Aus diesen wenigen Gesichtspunkten ist schon zu ersehen, dass wir hier einer schwierigen Frage gegenüber stehen, bei der die geeigneten Maßnahmen mit Vorsicht und Überlegung zu treffen sind. Doch scheint mir auf jeden Fall eine Einschränkung des Fleischverbrauches seitens der im Lande zurückgebliebenen Bevölkerung bei einem länger dauernden Verlaufe des Krieges empfehlenswert.

Neben den Hülsenfrüchten zeichnen sich auch zahlreiche Pilzarten, wie Pfefferlinge und Steinpilze durch hohen Eiweißgehalt aus. Sie können aber infolge der harten Zelluloseschichten, die das in den Pflanzenzellen enthaltene Nährmaterial einschließen, im Darm des Menschen nur schlecht ausgenutzt werden. Vielleicht ließe sich diesem Nachteil durch sorgfältiges Zerkleinern der Pilzgerichte, wobei die Zellulosemembranen zersprengt werden, teilweise begegnen.

Es schient mir sicher, dass ein irgendwie Besorgnis erregender Mangel in der Ernährung der breiten Massen des Volkes nicht eintreten wird, selbst wenn der Krieg länger als Jahresfrist währt, und jede Zufuhr aus dem Auslande dauernd unterbunden bleiben sollte, welch' letzteres ja bisher glücklicher Weise keineswegs der Fall ist.

Quelle: Berliner Tageblatt

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