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Nachrichten von 1914 – 22. JuliÖsterreichische Demarche genehmigt

Über die Note Österreich-Ungarns an Serbien sickern immer mehr Einzelheiten durch. Serbien ist wohl nicht gewillt, freundllich auf den Vorstoß zu reagieren.

Wie man annehmen kann, dürfte die gestrige Audienz des österreichischen Ministers des Äußern Grafen Berchtold beim Kaiser Franz Josef die Entscheidung hinsichtlich der bevorstehenden Demarche in Belgrad gebracht haben. Genauere und vor allem zuverlässige Meldungen über den Inhalt der österreichischen Note stehen natürlich noch aus und werden auch kaum vor ihrer Überreichung bekannt werden; immerhin dürfte ein Privattelegramm unsres Wiener Korrespondenten, der in der Lage ist, aus besonderer Quelle zu schöpfen, die Situation ziemlich zutreffend wiedergeben:

Wien, 21. Juli

Die in der heutigen Audienz vom Grafen Berchtold dem Kaiser unterbreiteten Vorschläge betreffend das Vorgehen gegen Serbien sind genehmigt worden. Graf Berchtold kehrt Donnerstag früh nach Wien zurück, und wahrscheinlich wird schon am Freitag die Demarche in Belgrad erfolgen oder höchstens ein bis zwei Tage später.

Die von der „Neuen Freien Presse“ gemachten Mitteilungen über den Inhalt der Note beruhen größtenteils auf Kombinationen, da vorderhand die Geheimhaltung der Ischler Beschlüsse höchstes Staatsinteresse ist. Nur so viel gilt als sicher, dass die Note der serbischen Regierung eine knapp bemessene Frist zwischen 48 Stunden und fünf Tagen einräumen wird. Generalstabschef Conrad v. Hötzendorff ist wieder nach Tirol abgereist.

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Aera online ist die Simulation einer Live-Berichterstattung aus dem Jahr 1914. Das Magazin veröffentlicht Nachrichten, die auf den Tag genau vor hundert Jahren von den Menschen in Deutschland in ihren Zeitungen gelesen wurden. Drei historische Zeitungen wurden aus den Archiven gehoben und ausgewertet. Die Texte sind im Wortlaut erhalten, Überschriften und Kurz-Zusammenfassungen wurden teilweise modernen Lesegewohnheiten angepasst.

Das Projekt ist eine Kooperation der zero one film und der Leuphana Universität Lüneburg. taz.de kooperiert mit dem Magazin und veröffentlicht jeden Tag ausgewählte Nachrichten von 1914. Das gesamte aera online Magazin finden Sie hier.

Inzwischen lassen die Vorbereitungen Serbiens nicht darauf schließen, dass man in Belgrad geneigt ist, dem Schritt Österreich-Ungarns eine besonders freundliche Aufnahme zu bereiten. Die militärischen Maßnahmen gegen die Donaumonarchie werden, wie uns nachstehendes Telegramm meldet, unvermindert fortgesetzt:

Wien, 21. Juli

Die „Militärische Rundschau“ berichtet: Die von uns gemeldeten serbischen Rüstungen werden weiter betrieben und die Mobilisierung serbischer Truppenteile, die amtlich nicht bekannt gegeben wurde, findet im Stillen statt. Die Einberufung von Reservisten geht weiter vor sich. Truppentransporte sind aus den neuerworbenen Gebieten nach dem Norden im Gange. Die Eilmärsche werden größtenteils nachts zurückgelegt. Die Vorbereitungen zur Formierung von Freiwilligenbanden an der Drina werden beschleunigt.

Die Zensur militärischer Nachrichten an der Grenze wird schärfer gehandhabt. Auf der Donau werden serbischerseits Minenlegungsschiffe improvisiert. An feldmäßigen Befestigungen bei wichtigen Übergansstellen längs der Drina und der Donau wird unausgesetzt gearbeitet. Aus dem Arsenal von Krugajewac gehen große Transporte von Kriegsmaterialien in die Grenzgebiete ab. Auch Montenegro rüstet eifrig. Alle wehrfähigen Männer sind durch die Zivilbehörde verständigt worden, sich für eine jederzeitige Einberufung bereit zu halten.

Der gemeinsame österreichisch-ungarische Finanzminister v. Bilinski empfing gestern in Bad Isch eine Abordnung der serbischen Nationalpartei des bosnischen Landtages, welcher der Minister seinen Dank dafür aussprach, dass die Partei entschlossen sei, auch weiterhin die bisherigen politischen Richtlinien in Bosnien festzuhalten. Die Abordnung versicherte, die serbische Nationalpartei werde auch fürderhin ihr Programm einer der Dynastie und der Monarchie treuen positiven Arbeit für das Wohl Bosniens beibehalten. Der Minister erklärte, das politische System Bosniens, welches drei Konfessionen zur gemeinsamen Arbeit im Landtage einige, entspreche seiner Überzeugung.

Er hoffe, dass die serbische Bevölkerung Bosniens immer, auch in schweren Zeiten, ihre Anhänglichkeit an die Dynastie und Monarchie wie die Liebe zum Lande durch ruhige und besonnene patriotische Haltung beweisen werde. Wenn dieser Beweis erbracht werde, könne niemals der Gedanke aufkommen, gegen die Serben zu regieren. Leider sei ein Teil der serbischen Jugend Bosniens durch gewissenlose Verführer auf Irrwege geraten. Die loyale serbische Bevölkerung müsse mit allen Kräften auf die heranwachsende Jugend in dynastietreuer und patriotischer Richtung erzieherisch einwirken.

Quelle: Kreuzzeitung

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