Nachrichten der Youtube-Generation: Politik für „Dudes“ und „Bitches“
Auf dem Kanal „Was geht Ab“ entstehen Nachrichten für die Youtube-Generation. Das klickt sich nicht so gut wie Kinder-Hitler und Giftspritzen.
BERLIN taz | „Sowohl die Grünen als auch die Union zweifeln an einer gemeinsamen Koalition“, übt Florian seinen Satz, „darf ich noch sagen, dass sie aufhören sollen so rumzubitchen und sich wie erwachsene Menschen verhalten? Ein deutsches Synonym für rumbitchen?“ Darf er nicht, denn Florian spricht Nachrichten, die „Flash News“ des Youtube-Kanals „Was geht Ab“.
Seriös sollen die sein, aber nicht ganz so seriös vorgetragen. „Ohne Stock im Arsch. Nachrichten in gut. Geile Themen. Geile Typen“, versprechen die Youtuber. Florian, Frodo, Steven und Rick reden in ihren anderen Kanälen über die Gamescom, Vagina-Pilze und Schlussmachen. Jetzt sprechen sie Nachrichten ein. Ihre Zielgruppe: 13 bis 21 jährige Youtube-Gucker.
5. Stock, Dachgeschosswohnung in Berlin, 150 Quadratmeter. Küche mit Kühlschrank und Esstisch, ein Nebenzimmer mit rot gestrichener Wand. Im Wohnzimmer hängen großflächig Poster von Berlin und London, Anime-Figuren stehen auf dem Tisch, große Sessel an der Seite. Auf einem goldenen Schwein reitet eine Spiderman-Puppe.
Zwei große Bildschirme, Schnittplätze und Laptops erinnern: Das ist der Newsroom. Hier arbeiten zwei Autoren, ein Produzent, drei Praktikanten, ein Redaktionsleiter und ein Social-Media-Manager. Sie helfen den Youtubern, den Moderatoren. Vier bis fünf Videos werden am Tag gedreht, mindestens 18 in der Woche.
Ohne das Unternehmen Mediakraft würde das nicht gehen. Das Netzwerk nimmt Youtuber unter Vertrag, übernimmt die Vermarktung, akquiriert Werbepartner, arbeitet an Qualität und Technik. Ähnlich wie eine Plattenfirma bekommt Mediakraft dafür einen Anteil der Einnahmen. //www.facebook.com/MediakraftNetworks/posts/244709072328792:Die Firma macht noch keinen Gewinn, sondern wird von Gesellschaftern und Investoren finanziert. Von dem neuen Kanal profitieren sie aber durch Crosspromotion, Nutzer von „Was geht Ab“ werden auf andere Angebote umgeleitet oder kommen von dort.
Nachrichten statt Schabernack
Alex Moebius ist Redaktionsleiter. Er recherchiert die Themen, organisiert Drehs, plant Uploads. Er sieht „Was geht Ab“ auch als kommerziellen Youtube-Kanal, der an seinem Erfolg gemessen wird. Das ist nicht einfach, denn „der Kanal soll eine relevante Nachrichtenquelle sein für eine Zielgruppe, die sonst nicht den Blätterwald durchforstet.“
Moebius spricht von „früher Bildung, die die Zuschauer sonst nicht bekämen.“ Die Hauptzuschauer seien 14-Jährige. Ganz schön ambitioniert, denn die Youtuber klicken am liebsten Schabernack. „Du kriegst mehr Klicks mit lustigen Sketchen, wenn du über Celebrities herziehst oder aus deinem Alltag erzählst.“
Klicks, Klicks, Klicks, damit wird Geld verdient. Ein Klick sei ungefähr 0,001 Cent wert. „Ab 100.000 verdient man ein bisschen Geld.“ Drei Videos hat der Channel, die so oft geklickt wurden. Um die 30.000 Klicks haben die Flash-News, Kurz-Neuigkeiten ohne Meinung und Rumgehampel. „Die Zahlen steigen nicht unendlich in den Himmel. Um uns zu finanzieren bräuchten wir das zehn- bis zwanzigfache an Klicks.“
Mate, Tanzeinlagen und Sonnenbrille
Die Mate-Flasche wird noch schnell vom Newsdesk geräumt. Steven checkt seine Haare, „die sind viel zu lang“. Frodo empfiehlt einen Frisör, der direkt nach Hause kommt. Steven und Florian umarmen sich, tanzen Brust an Brust, „Oh yeah, shake it bitch“. Sie stehen im Raum, hinter ihnen die Bildschirme, vor ihnen ein Tisch mit dem Skript, drei Scheinwerfer leuchten sie an. „Kamera läuft“, „Ton auch. Wir drehen.“
„Moin Leude, ich bin Steven, das ist Flo.“
„Willkommen bei den Was geht Ab Flash News.“
Kaum ist der erste Satz gedreht, macht Steven eine Bewegung, als fliege er – „Hyper Move“.
„Beim ersten Sondierungsgespräch mit der CDU am Donnerstag möchten die Grünen die Flüchtlingspolitik zum zentralen Thema machen.“
Florian wippt mit den Beinen, wechselt oft den Blick, rechts, links, hebt den Zeigefinger, bewegt die Arme mal wie ein Rapper, mal wie ein DJ. Sie fuchteln noch ein bisschen mit den Händen vor dem Gesicht, „Kommentare in die Kommentare“, Klappe, die beiden geben sich die Hände und verbeugen sich voreinander.
„Eigentlich wollte ich noch meine imaginäre Sonnenbrille abziehen“, sagt Steven.
Satz, Satz, Satz. Jump-Cut nennt sich die schnelle Abfolge, nach jedem Satz kommt ein harter Schnitt, ein Sprung. Das ist das Geheimnis, die Dynamik, mit der die Zuschauer gehalten werden.
Youtube statt Waxfigurenkabinett
Auf dem Sofa in der Ecke sitzt Frodo und guckt den beiden zu. Er studiert VWL, spielt in einer Band, zwei bis drei Tage die Woche ist er im „Newsroom“. Bevor er das Filmen zum Job gemacht hat, hat er im Wachsfigurenkabinett Tickets verkauft. „Fernsehen ist verstaubter als Youtube. Die Nachrichten sind langweilig rüber gebracht, mir fehlt die Nähe zu den Leuten. Wir lassen auch mal Versprecher drin.“ Er sieht sich als eine Mischung aus Journalist und Entertainer. Wenn Frodo einspricht, dann redet er drauf los, „und dann gucke ich, wie das betont sein muss, damit die Wirkung richtig ist.“
Auf seinem Kanal Frodoapperat hat der Student um die 40.000 Abonnenten. Fünf bis sechs Stunden braucht er für ein Video. Für ihn zählt nicht der „Geldgedanke“ dahinter. „Aber es ist eine Geldquelle, um anderen nicht auf der Tasche zu liegen.“ Mit den Videos bekomme er etwas mehr Geld als bei seinem Job im Figurenkabinett. Auf seinem eigenen Kanal macht er Comedy, „Was geht Ab“ ist etwas „ernster“. Darauf ist er stolz. „Mein Bruder ist 14, also voll in der Zielgruppe. Und der sagt mir, dass er sich mit Freunden darüber unterhält. Das ist eine gute Sache, wenn die sich etwas erzählen lassen von jemanden, den sie mögen, der Interesse weckt.“
Frodo sagt von sich, er sei der Unbekannteste der vier. „Wenn ich nach einer Woche tausend Klicks habe, dann ärgere ich mich. Aber dann stelle ich mir vor, wie viel 40.000 Leute sind.“ Und das kann jeder sein: „Hochgestylte Mädels, Metaller oder schüchterne Fans.“
Persönlichkeitsgetrieben
Ganz andere Verhältnisse sind es bei Psychologie-Student Florian, er hat als LeFloid über 990.000 Abonnenten auf seinem Privatkanal. Hier redet er auch über Nachrichten, aber mit „ultimative Action“. Über Kinder-Hitler und Merkel-Fusion, Rache-Pornos, Schlampen-Seiten auf Facebook und eine Menschenfleisch-Metzgerei. Mit dabei ist aber auch eine Dosis Meinung, eine Moral, klickbar verpackt. Sein Video „Totgeprügelt und alle gucken zu“ hat deshalb den deutschen Webvideopreis 2013 gewonnen.
LeFloid gehört zu den erfolgreichsten Youtubern Deutschlands. Er ist eine Marke, mit Kappe, Augenringen und eigenem Fanshop, in dem er T-Shirts mit „Team Floid“ Aufdruck verkauft.
Die Youtuber als bekannte Marke, das Nahbare der Youtube-Stars, Persönlichkeiten die gemocht werden. Davon profitiert der Nachrichtenkanal. Die Fans wollen mehr sehen, wollen wissen, was die Lieblingsfarbe ist, welches Auto die Youtuber fahren oder ob Steven eine neue Brille hat. Dafür machen die Youtuber Community-Checks, in denen sie über Kommentare quatschen. Dafür befeuern sie ihre Facebook, Twitter und Instagram Profile, schmeißt sich Florian zu Frodo und Steven auf die Couch, um in der Drehpause ein //www.facebook.com/photo.php?fbid=429538300479397&set=a.220278694738693.36666.111681825598381&type=1&theater:Bild für die Community zu machen.
Und die antwortet rege. Am Ende eines Videos stellen die Youtuber Fragen, die in den Kommentaren beantwortet werden soll. „Das Feedback ist sehr gut, gerade bei Themen wie Religion und Rassismus gibt es Blöcke an Kommmentaren“, sagt Frodo. Nicht alle sind nett, viele fühlen sich enthemmt, pöbeln, schicken Hasstiraden.
You-Safts-Ei im Swad-Tal
Florian muss nach rechts, für den Bildaufbau. Dann wird das zweite Video gedreht. Es geht um Malala, eine Anwärterin auf den Friedensnobelpreis. Steven übt noch den Namen, Yousafzai. „Sag doch You-Safts-Ei“, schlägt Florian vor. Das Swat-Tal macht auch Probleme, „Suad, Swad, Swaaad.“ Moebius diskutiert mit Autorin Katja Kuchenbecker, ob das vor der Wahl veröffentlichte Wahlergebnis in Aserbaidschan ein Thema ist und ruft Florian zu: „20 Prozent weniger happy.“
Netzwelt, Hochtechnologie, Ungerechtes, Schlechtes. Das seien Themen, die geklickt werden, sagt Moebius. „Wir machen etwas zu den Koalitionsvereinbarungen, haben dröge erklärt: Was ist die Lage? Aber für die jungen Leute ist Amerika eben interessanter.“ Gewalt, Rassismus, Drogen, Diskriminierung – Themen, die am besten gingen. „Wir füllen die Meldungen mit solchen Themen, auf die Leute anspringen, können aber darauf einwirken, dass sie andere Aspekte mitbekommen.“
Eine große Geschichte sei das Thema Silk Road gewesen. „Das ist abenteuerlich, hat mit dem Internet zu tun und mit dem FBI.“ Ein Format zwischen Klickbarem zum Geldverdienen und „weltpolitischer Information um Bildung zu gewährleisten“, das sei „das harte Brot, das wir kauen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen