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Nachrichten-Urteil in SpanienAngriff auf die Pressefreiheit

In Spanien hat ein Richter den Direktor und den Nachrichtenchef der größten Radiostation zu 21 Monaten Haft verurteilt. Der Grund: Sie veröffentlichten brisante Nachrichten im Internet.

Das gute alte Radio. Von der Pressefreiheit gedeckt. Ganz im Gegenteil zu diesen hippen Sachen wie Internet. Bild: reuters

MADRID taz | Gibt es Pressefreiheit im Internet? Richter Ricardo Rodríguez Fernández vom 16. Stafgericht der Autonomen Region Madrid meint "Nein". Er verurteilte den Direktor der größten spanischen Radiostation Cadena Ser, Daniel Anido, sowie den Nachrichtenchef des Senders, Rodolfo Irago, zu 21 Monaten Haft und Entschädigungszahlungen von 140.000 Euro. Der Grund: Die Internetseite des Senders – www.cadenaser.com - hatte am 17. Juni 2003 über einen Vorfall berichtet, den selbst Richter Rodríguez Fernández als "nachrichtenwürdig" bezeichnet.

Doch der Reihe nach: Im Jahr 2003 entzweite bei den in Madrid regierenden Konservativen der Partido Popular (PP) ein heftiger Flügelkampf zwischen den Anhängern der ultrakonservativen Präsidentin der Madrider Regionalregierung Esperanza Aguirre und den Anhängern des liberaleren Bürgermeisters der spanischen Hauptstadt, Alberto Ruiz Gallardón. Das Umfeld Aguirres setzte alles daran, die PP in der Region unter ihre Kontrolle zu bekommen. Dabei schreckten sie auch vor Tricks am Rande der Parteistatuten nicht zurück. Und genau dies deckte die Cadena Ser auf.

Dem ältesten spanischen Radiosender wurden mehrere Briefe zugespielt, aus denen hervorging, dass in einem Dorf vor den Toren der Hauptstadt mit fragwürdigen Prozeduren 78 neue Parteimitglieder aufgenommen wurden, um die Mehrheitsverhältnisse zu Gunsten des Aguirre-Flügels zu verändern. Unter ihnen befanden sich zwei einflussreiche Bauunternehmer. Die Cadena Ser stellte einen Teil der Dokumente online. 28 der 78 Neumitglieder klagten.

"Man kann nicht verleugnen, das dies eine Nachricht war", heißt es im Urteil von Richter Rodríguez Fernández. Die Journalisten konnten davon ausgehen, "dass sie mit der Veröffentlichung der Listen der mutmaßlich unrechtmäßig in die Partei Aufgenommenen bzw. die Überlassung zu ihrer Veröffentlichung, die Öffentlichkeit über etwas informierten, das zu erfahren diese ein Recht hatte." Doch hätten die beiden Verurteilten eines dabei nicht bedacht. Die von der Verfassung garantierte Pressefreiheit gelte nur für Medien im engeren Sinne, wie Zeitungen, Radio und Fernsehen. Das Internet sei ein universales Medium und deshalb für alle völlig frei zugänglich. Damit habe der Sender "geheime Daten" veröffentlicht. Das verletze die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.

Für die Cadena Ser ist das Urteil ein "klarer Angriff auf die Grundsätze der Verfassung in Sachen Informationsfreiheit". Es berge "ein nie da gewesenes Risiko für die Ausübung des Journalismus", erklärt ein Sprecher des Senders.

"Ein unerhörtes Urteil", schimpft auch die Spanische Journalistenvereinigung FAPE und der regionale Madrider Presseverband APM. Der Richterspruch sei "völlig überzogen". "Das Durcheinander angesichts der Definition dessen, was Presse ist und was nicht und über das was geheime Daten sind und was nicht, ist besorgniserregend", heißt es in einem Kommuniqué der beiden Verbände. Urteile wie dieses seien "eine Konspiration gegen die Freiheit und gegen das Recht der Bürger auf Information". Außerdem schwächten "sie den Rechtsstaat und den Ruf der Institutionen."

Die Cadena Ser wird in Berufung gehen.

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13 Kommentare

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  • M
    Morayma

    Was kann man anderes von einem Rechtssystem wie dem spanischen erwarten, wo es möglich ist, daß ein Richter wie Juan Luis de la Rúa vom Oberlandesgericht Valencia der sich öffentlich als bester Freund des valencianischen Landespräsidenten Francisco Camps bezeichnet, aber in einem Verfahren gegen Camps für die Einstellung des Verfahrens stimmen kann obwohl er offensichtlich als Richter befangen war.

     

    Die spanische Justiz ist durch und durch korrupt und stinkt noch gewaltig nach der Justizwillkür der Francozeit.

     

    Mich überrascht dieses Urteil ganz und gar nicht. Es zeigt lediglich wie verfault die spanische Justiz im Innern ist.

  • JS
    Jens Schlegel

    @ heinz

    Dein Beitrag hat eigentlich nichts mit dem Artikel zu tun...

     

    Und das ganze was du so beklagst macht Sinn. Wenn man über die Wut und Hass hinaus blickt, die von dir beschriebene Verbrechen hervorrufen, erkennt man, dass auch diese Verbrecher Menschen sind und eben so unveräusserliche Menschenrechte haben, die kann auch von keinem Gesetz genommen werden. Eigentlich gut - oder?

     

    Ausserdem sollen diese Leute wieder RESOZIALISIERT werden. Wie soll das möglich sein, wenn sie jeder nur als den "Mörder" oder anderes kennt.

     

    Was wenn einer falsch verurteilt wurde, wie geht man dann damit um wenn sein oder ihr Name durch den Dreck gezogen wurde.

     

    Eine Veröffentlichung von Namen und Bild ala "Bild" hat nur die Befriedigung der Sensationsgier als Hintergrund.

  • M
    Max

    Gibt es für Richter eigentlich Pflichtseminare - sagen wir mal alle 10 Jahre -, um sich mit aktuellen Entwicklungen und der Realität zu befassen?

     

    Wie wäre es mit jüngeren Beratern?

     

    // Schon hart, in dieser modernen Zeit. //

  • H
    heinz

    nicht nur die richter in deutschland mit ihren urteilen sind durchgeknallt. nein, auch die spanier haben nicht alle tassen im schrank. in deutschland kann jeder schwerverbrecher gegen die veröffentlichung seines namens klagen - und bekommt auch noch recht. ja ja so ist das. leute umbringen, kinder vergewaltigen und alte menschen zusammentreten und dann aber auf verletzung seiner persönlichkeitsrechte klagen, wenn eine zeitung die bilder oder die namen der täter veröffentlicht. das ist doch das allerletzte. die spanier sind aber auch nicht schlecht. hut ab vor dieser logik

  • MM
    Meier mit y

    Wow, wirklich unglaublich.

    Und warum überrascht mich der Umstand nicht, das sonst niemand das in D publik macht.

    Tja, es hätte Russland passieren müssen, oder irgendwelche Linke hätten die Bösen sein müssen, dann wär wieder Stimmung.

  • EL
    Es lebe die Pressefreiheit

    Habt Ihr, "vic" und "Ullrich F.J. Mies" denn begriffen dass es auch ein Persönlichkeitsrecht und das Recht auf Wahrung der Privatsphäre gibt?

    Oder würdet Ihr gerne Eure wirklichen Namen und Adressen nebst Hinweis auf Eure Beiträge "im Internet" lesen?

  • V
    vantast

    Juristen sind als lebensfremde Leute bekannt, wollen wir hoffen, daß dies von der nachfolgenden Instanz korrigiert wird. Auch hier gab es viele sehr fragwürdige Urteile, jeder Mensch hat ein Recht auf Irrtum. Vielleicht war der Mann auch befangen, weil er emotional mit der Sache befaßt war, dann hätte er das Verfahren ablehnen müssen.

  • A
    Archeopteryx

    Wirklich frech von dem Richter.

    Grenzt schon fast an Amtsanmaßung. Die Unterdrückung missbeliebiger Wahrheiten ist nämlich ein Privileg der taz-Redaktion.

    Oder sehe ich das was fasch?

  • JA
    Jemand aus dem Internet

    Wer sich wie ich in den letzten Monaten mal mit dem spanischen Rechtssystem, Richtern und der Partido Popular auseinandergesetzt hat, den verwundert dieses Urteil nicht. Die spanischen Richter sind von unten bis oben hin korrumpiert und treffen skandalöse politische Entscheidungen, dabei geht es nicht nur um Dinge wie Pressefreiheit, sondern auch politische Straftaten und Geschichtsrevisionismus (Stichwort: Franco und seine Erben in der Partido Popular)...

  • I
    iBot

    "Entweder sind die Daten als "geheim" deklariert -- dann dürfen sie NICHT in Zeitungen, Radio und Fernsehen veröffentlicht werden -- oder sie sind öffentlich zugänglich."

     

    This.

     

    Bleibt nur zu hoffen, dass die Berufungsinstanz diesen haarsträubenden Fehler wieder korrigiert.

  • EK
    Eckhardt Kiwitt

    Warum dürfen angeblich "geheime Daten" in Spanien via Zeitungen, Radio und Fernsehen veröffentlicht werden, aber nicht übers Internet ?

     

    Eine absurdere und in sich widersprüchlichere "Recht"sprechung ist kaum vorstellbar !

     

    Entweder sind die Daten als "geheim" deklariert -- dann dürfen sie NICHT in Zeitungen, Radio und Fernsehen veröffentlicht werden -- oder sie sind öffentlich zugänglich.

     

    Hoffentlich macht dieses Beispiel nicht Schule in Europa.

    Denn dann "Gute Nacht" Pressefreiheit.

     

    Eckhardt Kiwitt, Freising

  • V
    vic

    Das hochgelobte Bündnis Europa zeigt Gesicht an allen Fronten.

    Es geht Richtung Repression, schlechte Zeiten für Freiheits-, Presse-, Bürgerrecht.

    Recht hat, wer Macht hat.

  • UF
    Ullrich F.J. Mies

    Richter diesen Zuschnitts setzen in Europa neue Maßstäbe. Sie sind ein Weg in ein autoritär-repressives Europa, das die Konservativen ohnehin im Auge haben.

    Auf solche Schandurteile haben sie nur gewartet.

    Widerstand ist der einzige Ausweg.