■ Mit Ungarns Wirtschaft auf du und du: Nachhinkende Reformer
Budapest (dpa) – Beim Zerfall des Kommunismus in Osteuropa spielte Ungarn eine Vorreiterrolle, politisch wie wirtschaftlich hatte das Land die Nase vorn. Vier Jahre später aber sind andere Reformstaaten wie Tschechien und Polen offenbar drauf und dran, die Ungarn zu überflügeln.
Während in Ungarn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach jahrelanger Rückwärtsentwicklung in diesem Jahr bestenfalls stagniert, streben in Polen Industrie und Aktienmärkte aufwärts. Während in Ungarn die Inflation nicht unter 20 Prozent zu drücken ist, wird der tschechische Teuerungsindex in in diesem Jahr voraussichtlich erstmals einstellig ausfallen. Und bei den ausländischen Direktinvestitionen hat Tschechien mit einem Gesamtwert von 11,7 Milliarden US-Dollar seit 1990 Ungarn (9,3 Mrd. Dollar) bereits überholt.
Hauptsorge der ungarischen Wirtschaftspolitiker sind die aus dem Ruder laufenden Staatsausgaben – ein Erbe der nationalkonservativen Regierung, die nach der Wende regierte und im Juli von einem Kabinett aus Sozialisten und Liberalen abgelöst wurde. Die Nationalkonservativen hatten die Reform des Staatshaushaltes auf die lange Bank geschoben und damit der Explosion des Budgetdefizits Vorschub geleistet.
Auch die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF), dessen Abordnung Anfang August in Budapest über einen neuen Dreijahreskredit verhandelte, malen ein düsteres Bild von der finanziellen Lage der Ungarn. Der Spielraum der Wirtschaftspolitik, so der jüngste Weltbank-Bericht, sei enger denn je, da das Zahlungsbilanzdefizit bereits 8,3 Prozent des BIP ausmacht und der Schuldendienst 46 Prozent der Exporterlöse aufzehrt. Ohne entsprechende Sofortmaßnahmen zur Budgetkonsolidierung sei von 1996 an mit zehnprozentigen Rückgängen beim BIP, einem Anstieg der Schuldendienstquote auf über 70 Prozent der Exporteinnahmen und einem Erlahmen des Interesses ausländischer Investoren zu rechnen, so die Weltbank. Einem Kollaps der Volkswirtschaft käme das gefährlich nahe.
Ungarns sozialliberale Koalition bekennt sich im Regierungsprogramm zu Budgeteinsparungen und Reallohnkürzungen. Finanzminister Laszlo Bekesi will über einen Nachtragshaushalt das diesjährige Haushaltsdefizit von 390 Milliarden Forint (5,5 Mrd. DM) auf 330 Milliarden Forint begrenzen. Im Oktober sind Mehrwertsteuererhöhungen von zehn auf zwölf Prozent vorgesehen. Verbrauchssteuern auf Genußmittel und Benzin sollen um 15 Prozent erhöht werden – bittere Pillen für die Ungarn.
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