Nachgelesen: Der Flüchtling war’s – nur was?
Der Deutsche Presserat hat ja gerade erst sein Diskriminierungsverbot im Pressekodex gelockert. Zwar soll bei der Berichterstattung über Straftaten die Zugehörigkeit zu einer Gruppe weiterhin in der Regel nicht erwähnt werden – „es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse“. Was das Hamburger Abendblatt in seiner Online-Ausgabe am Donnerstag veröffentlichte, dürfte aber auch mit dieser nach den Silvesterübergriffen erarbeiteten neuen Fassung kaum zu rechtfertigen sein.
„Flüchtling soll eine Frau in Hamburg vergewaltigt haben“, war der Titel der Meldung. Demnach soll es auf der gemeinsamen Suche nach einem Kiosk in Sülldorf zu einem sexuellen Übergriff gegen die alkoholisierte Frau gekommen sein. Die Polizei fasste einen von zwei Verdächtigen in einer Flüchtlingsunterkunft, ließ ihn aber wieder frei – mangels „dringenden Tatverdachts“. Denn die Betroffene habe sich nach ihrer ersten Aussage nicht mehr äußern oder ärztlich untersuchen lassen wollen, heißt es auf abendblatt.de.
Was bleibt also an Fakten? Möglicherweise hat es einen sexuellen Übergriff gegen eine Frau gegeben. Möglicherweise war ein Mann beteiligt, der in einer Flüchtlingsunterkunft lebt. Abendblatt.de ist das genug für eine Titelzeile, die eine ganze Gruppe stigmatisiert. Sicherheitshalber wird am Schluss nachgereicht, dass der Verdächtige in der Vergangenheit verschiedene Staatsangehörigkeiten angegeben habe. Wenn er kein Vergewaltiger ist, dann zumindest Asylbetrüger, soll der Leser verstehen. Damit ist die Berichterstattung ja wohl allemal gerechtfertigt. Jan Kahlcke
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