Nachgefragt: Der Glaube belastet
■ Sexuelle Gewalt in der Kirche
„Lots Töchter“ – in Reminiszenz an die biblische Geschichte von Lot, der seine Töchter zuerst an Fremde verschacherte und schließlich selbst mißbrauchte, diskutieren Frauen in der evangelischen Kirche seit einigen Jahren das Thema „Sexuelle Gewalt in der Kirche“. So auch in Bremen. Rita Klemmayer, freiberufliche Pastorin und Therapeutin aus Wuppertal, leitet dazu heute ein Seminar bei der Evangelischen Frauenhilfe.
Hat sich in den zehn Jahren, in denen Sie zum Thema arbeiten, etwas verändert?
Rita Klemmayer: Verändert hat sich etwas im Bewußtsein der Frauen, die sich im kirchlichen Umfeld aufhalten. Es gibt inzwischen relativ viele, die in dem Bereich arbeiten. Es werden Gottesdienste zu dem Thema gehalten. Es haben sich Türen geöffnet.
Sind diese Frauen, die Sie erreicht haben, auch Ihre Zielgruppe?
Nein, ich will in erster Linie die Betroffenen erreichen, diejenigen, die mit den betroffenen Frauen arbeiten, aber auch Kirchenvertreter. Weil es für mich immer auch um Grundfragen der Theologie geht.
Hat sich da etwas bewegt?
In der Institution ist noch immer ein ganz geringer Wahrnehmungsstand. Wir sind noch lange nicht soweit, daß die Kirche zu ganz konkreten Beispielen Regeln zum Thema aufstellt oder Vorschläge erarbeitet. Die holländische Kirche ist da viel weiter. Es gibt zwar auch bei uns inzwischen in vielen Kirchen Frauenreferate, aber auch dort ist noch viel Bewußtseinsarbeit nötig.
Schaffen Sie es, in Ihrer therapeutischen Arbeit die Frauen aus ihrer ewigen Selbstbeschuldigung herauszuholen?
In den meisten Fällen sagen die Frauen, der Glaube habe ihnen bei dem Problem nicht geholfen, sondern sie zusätzlich belastet. Da spielt die Vorstellung, daß Gott sie mit dem Mißbrauch straft oder prüft, eine wichtige Rolle.
Das heißt, die Frauen müssen ihren Glauben ändern?
Ja.
In welche Richtung?
In die Richtung, daß erlittene Schmähung oder Entwürdigung nichts mit Gott zu tun hat. Die Frauen müssen lernen, daß ihr Leben genauso viel wert ist wie das anderer.
Da sind glaubende Frauen noch zusätzlich belastet?
Glauben, Spiritualität ist ja wie Sexualität etwas sehr Persönliches, Inneres. Das wird angegriffen. Der Boden unter den Füßen ist weg, wenn man glaubt, aber nicht mehr den Gott gegenüberhat, der eindeutig auf der eigenen Seite steht.
Was sagen Sie diesen Frauen?
Ich versuche ihnen zu vermitteln, daß die Theologie auch die Möglichkeit spiritueller therapeutischer Arbeit bietet.
Interview: Silvia Plahl
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